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26. Januar 2025

The Texas Rangers (1951)

Deutscher Titel: Grenzpolizei in Texas · Regie: Phil Karlson · Drehbuch: Richard Schayer · Musik: Paul Sawtell · Kamera: Ellis W. Carter · Schnitt: Al Clark · Produktion: Columbia Pictures.

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Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg haben sich in Texas zahllose Desperados festgesetzt. Im Jahr 1874 ist es dann soweit: Die Unionstruppen sind abgezogen und – geführt von Major John B. Jones (John Litel) – werden die Texas Rangers neu aufgestellt. Die Outlaws bündeln daraufhin ihre Interessen. Sam Bass (William Bishop) lädt zu einer Gipfelkonferenz ein, an der nahezu alle berüchtigten Gesetzlosen teilnehmen: John Wesley Hardin (John Dehner), Dirty Dave Rudabaugh (Douglas Kennedy), Sundance Kid (Ian Macdonald), Butch Cassidy (John Doucette) und Duke Fisher (Jock Mahoney).¹ Die Versammelten gründen die Long Riders Protective Association und wählen Sam Bass per Akklamation zum Präsidenten – nachdem Bass den anderen Kandidaten mit dem Revolver durchlöchert hat.

Major Jones verfällt angesichts dieser Entwicklung auf die Idee, Outlaws mit Outlaws zu bekämpfen. Er lässt Johnny Carver (George Montgomery) und Buff Smith (Noah Beery Jr.) aus dem Gefängnis holen. Beide saßen wegen eines Banküberfalls in Waco ein, aber, so beeilt sich der Film zu erklären, sie sind anders als Bass & Co. keine Kriminellen aus Überzeugung, sondern nur wegen der in der Nachkriegszeit herrschenden Not auf die schiefe Bahn geraten. Jones lässt Johnny und Buff als Ranger vereidigen und setzt sie auf Bass und seine Truppe an. Bei den Rangern treffen die beiden auch auf Johnnys kleinen Bruder Danny (Jerome Courtland), der sein Glück kaum fassen kann, dass Johnny wieder auf die Seite von Recht und Ordnung zurückgekehrt ist.

Dannys Enthusiasmus ist allerdings nicht ganz gerechtfertigt. Johnny will die Gelegenheit nutzen, um Rache an Sundance Kid zu üben, der ihn bei dem Banküberfall in Waco hintergangen hat, und sich anschließend aus dem Staub machen. Jedoch gerät Johnny, nachdem er Sundance umgelegt hat, gemeinsam mit Buff und Danny in eine Schießerei mit weiteren henchmen der Bass-Gesellschaft. Dabei wird Danny von einer Kugel getroffen, die für Johnny bestimmt war, und stirbt in den Armen des älteren Bruders.

Johnny schwört erneut Rache. Zum Schein schließt er sich Sam Bass an. Der weiß nichts von der Bedeutung, die Dannys Tod für Johnny hat, denn Danny war (wegen der Haftstrafe seines Bruders) unter falschem Namen den Rangern beigetreten. Bass plant seinen größten Coup: Die Bundesregierung schickt einen Zug aus dem Norden, beladen mit Geld, das die darniederliegende Wirtschaft von Texas ankurbeln soll. Bass will mit seinen Leuten den Zug überfallen. Johnny wiederum will den Coup nutzen, um die ganze Bande auf einmal unschädlich zu machen. Buff fungiert als geheimer Bote zwischen Johnny und Major Jones, wird aber von Dave Rudabaugh erwischt und vor Johnnys Augen erschossen. Johnnys Tarnung droht aufzufliegen ...

The Texas Rangers ist ein für Fifties-Verhältnisse relativ harter Western, in dem ziemlich viel gewaltsam gestorben wird. Mit seinem moralisch nicht immer ganz sauberen Helden, seinen double crossings und vor allem seinen höchst theatralischen Antagonisten nimmt er andeutungsweise den Italowestern vorweg. Die campy Idee, die legendären Outlaws des Westens eine Liga der Superschurken gründen lassen (ganz wie Comic-Bösewichter), finde ich besonders unterhaltsam. Insbesondere William Bishop als Sam Bass und John Dehner als John Wesley Hardin spielen ihre Rollen mit dem entsprechenden Flair.

Für die tatsächlichen Biographien seines Schurken-Ensembles interessiert der Film sich dabei wenig.² Auch was die Geschichte der Texas Ranger und insbesondere ihres Neugründers John B. Jones (1834–81) angeht, schweigt er sich über die unappetitlichen Details aus: Der historische Jones war ein Sklavenhalter, der es in der konföderierten Armee zum Major brachte. Nach dem Krieg ging er kurzzeitig nach Mexiko, wo er eine Kolonie für fanatische Sezessionist*innen gründen wollte, die sich mit dem Sieg der Union nicht abfinden konnten – ein Unternehmen, das natürlich scheiterte.

Als leading lady tritt übrigens Gale Storm auf, die zu Beginn des Films zwei Szenen hat, dann aber vom Drehbuch für ungefähr 45 Minuten völlig vergessen wird. Danach taucht sie pflichtgemäß wieder auf und verguckt sich in den Helden Johnny. Solche uninspirierten, im Grunde vernachlässigbaren Frauenrollen waren es, die (leider) dazu führten, dass im Jahrzehnt darauf so viele Spaghetti-Produktionen in einer reinen Männerwelt spielten.

Dennoch weiß The Texas Rangers zu unterhalten, denn seine interessanten Figuren sind ohnehin alle auf der Seite der villains zu finden, zu denen es den Protagonisten ja nicht umsonst immer wieder hinzieht. Filme wie dieser, die budgetmäßig eher am unteren Ende der Skala angesiedelt waren und die Handlung auf essentielle Motive beschränkten, stellen zudem ein wichtiges, aber oft unterschätztes Bindeglied zwischen den seriellen B-Western der dreißiger und vierziger Jahre und den Eurowestern der sechziger Jahre dar.

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¹ Ich vermute, mit letzterem ist King Fisher (1853–84) gemeint.

² Insbesondere Butch und Sundance passen schlecht in diese Gang, denn zu der Zeit, in der The Texas Rangers spielt, waren sie noch Kinder.

9. Dezember 2024

The Deerslayer (1957)

Deutscher Titel: Lederstrumpf – Der Wildtöter · Regie: Kurt Neumann · Drehbuch: Kurt Neumann, Dalton Trumbo, Carroll Young · Musik: Paul Sawtell, Bert Shefter · Kamera: Karl Struss · Schnitt: Jodie Copelan · Produktion: 20th Century Fox.

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Wildtöter (Lex Barker) und Chingachgook (Carlos Rivas) stehen dem weißen Händler Harry March (Forrest Tucker) bei, als dieser von Kriegern der Huronen überfallen wird. March erklärt, er sei auf dem Weg zu einem weißen Jäger namens Tom Hutter (Jay C. Flippen), mit dem er Geschäfte habe. Wildtöter und Chingachgook begleiten March zu Hutter, der mit seinen Töchtern Judith (Cathy O’Donnell) und Hetty (Rita Moreno) in einem Hausboot auf dem Lake Otsego lebt. Hutter erwartet, in Kürze ebenfalls von den Huronen angegriffen zu werden. Wildtöter und Chingachgook können sich aus den Geschichten des eigenbrötlerischen alten Mannes nicht so recht einen Reim machen. Er behauptet, ›Felle‹ an March zu verkaufen, aber nirgendwo auf dem Hausboot sind zum Trocknen aufgehängte Felle zu sehen. Außerdem hegt er einen fanatischen Hass auf alle Indigenen (Chingachgook eingeschlossen) und scheint es nicht zu mögen, Fremde bei sich zu beherbergen – auch dann nicht, wenn diese Fremden ihm gegen die Huronen beistehen wollen. Wildtöter und Chingachgook bleiben dennoch, nicht zuletzt, um herauszufinden, warum die Huronen es überhaupt auf Hutter abgesehen haben. Bald wird den beiden klar: Die ›Felle‹, mit denen Hutter sein Geld macht, stammen von Menschen. Er hat sich die Huronen zum Feind gemacht, weil er Skalpjäger ist.

Der aus Nürnberg stammende Regisseur Kurt Neumann ging zu Beginn der dreißiger Jahre nach Hollywood. In der Frühzeit des Tonfilms war es mangels fortgeschrittener Synchronisationstechnik üblich, Filme für die internationale Vermarktung in mehreren Sprachversionen zu drehen, manchmal sogar mit unterschiedlichem Cast.¹ Das war zunächst auch Neumanns Job: Er führte Regie bei den deutschsprachigen Fassungen, die die Studios für ihre Filme wünschten. Recht schnell etablierte sich Neumann jedoch als Genre-Regisseur aus eigenem Recht: Er drehte Komödien, Tarzanfilme und später SF-Streifen wie The Fly mit Vincent Price.

In den fünfziger Jahren realisierte Neumann mit Hiawatha (1952), Mohawk (1956) und dem hier besprochenen Deerslayer eine Reihe von Western, die auf naive Weise versuchten, die Perspektive der Indigenen zur Darstellung zu bringen (was allerdings nicht bedeutet, dass indigene Cast- oder Crew-Mitglieder an der Produktion beteiligt gewesen wären). Ein aus heutiger Sicht merkwürdiger Aspekt der zeitgenössischen Rezeption dieser Filme ist, dass ihnen »kommunistische Tendenzen« (mithin Antiamerikanismus) vorgeworfen wurden. Tatsächlich waren mit Arthur Strawn und Dalton Trumbo Drehbuchautoren involviert, die in Hollywood auf der antikommunistischen Schwarzen Liste standen. Bizarr ist es dennoch, denn die betreffenden Filme sind ungefähr so antiamerikanisch wie Seifenopern oder Thanksgiving-Feiern – nämlich überhaupt nicht. Eher könne man ihnen vorwerfen, dass die Schilderung der Konflikte zwischen Indigenen und Siedler*innen in einem zu versöhnlichen Ton gehalten ist, als dass sie dem Thema gerecht werden könnten. Gerade wegen dieser Versöhnlichkeit wurde den Filmen allerdings »Pazifismus« unterstellt, und in der aufgeheizten Atmosphäre der McCarthy-Ära war Pazifismus offenbar gleichbedeutend mit Kommunismus.

Aber zurück zu The Deerslayer. Der hatte insbesondere in Deutschland eine ausgesprochen wechselhafte Geschichte. Zunächst wurde der etwa 80 Minuten lange Film für die deutschen Kinos auf magere 60 Minuten zusammengekürzt. Später wollte das ZDF ihn zeigen, hatte aber anscheinend zu viel Sendezeit zur Verfügung. Jedenfalls fand man in Mainz, dass 60 Minuten zu kurz waren. Statt sich um eine vollständige Kopie zu bemühen, schnitt man zu Beginn und in der Mitte des Films einige Szenen aus dem Sauerkraut-Western Die schwarzen Adler von Santa Fe (1965) hinein und erreichte damit eine Laufzeit von 75 Minuten. Doof nur, dass The Deerslayer in den 1740er Jahren an den Quellen des Susquehanna River spielt, während die Handlung von Die schwarzen Adler ungefähr 120 Jahre später in der Comanchería angesiedelt ist.

Um die eigentliche Filmhandlung mit den neu eingefügten Szenen zu verknüpfen, wurde eine neue Synchronisation erstellt. Treuherzig erklärt eine Erzählstimme aus dem Off (Hans Müller-Trenck) immer dann, wenn zu dem Material aus Die schwarzen Adler geschnitten wird, die folgenden Szenen spielten »weiter im Süden«. Natürlich kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass nichts daraus irgendetwas mit der Haupthandlung von The Deerslayer zu tun hat. Fabriziert hat den ganzen Spaß der Dokumentarfilmer Hans Schipulle, der in der ZDF-Fassung unter dem Pseudonym Clint Reinard als Co-Regisseur genannt ist. Und um der Sache die Krone aufzusetzen, wurde sie als »Extended Version« des Films auf DVD und Blu-ray veröffentlicht.

Weiß man über diese Geschichte Bescheid, wirkt die ZDF-Version eher erheiternd. Es ist, als würde man einen Film mit Werbeunterbrechungen ansehen, in denen der Trailer für einen anderen Film läuft. Weiß man es nicht und hält die angebliche »Extended Version« für authentisch, wird man vermutlich vor allem irritiert sein. Jedenfalls ist es im Zweifel besser, auf die gekürzte 60-Minuten-Fassung zurückzugreifen. Die ist zwar unvollständig, aber es ist dennoch zu erahnen, dass The Deerslayer als Cooper-Verfilmung gar nicht mal so schlecht ist. Im Vergleich zu Mohawk, Neumanns unfreiwillig komisch geratenem Flick aus dem Vorjahr, wartet The Deerslayer mit einigen gelungenen Ansätzen auf.

Coopers Geschichte wurde für die Adaption an einigen Punkten geändert, auf nicht uninteressante Weise. So hat die Figur der Hetty anders als im Roman keine geistige Behinderung, jedenfalls nicht im klinischen Sinn. Hutter redet ihr dennoch ein, dass sie »nicht ganz richtig im Kopf« sei, um ihr Autonomiestreben einzuschränken. Denn Hetty streift gern im Wald umher und fühlt sich dabei wohler als auf dem Hausboot des vom Hass zerfressenen Hutter mit seiner Belagerungsmentalität. Am Ende stellt sich heraus, dass der Alte sie belogen hat – Hutter hat sie als Baby aus einem indigenen Dorf geraubt, damit seine leibliche Tochter Judith eine Spielgefährtin hat. Diese Umkehrung eines typischen Western-Motivs (an die Stelle des von Indigenen entführten weißen Mädchens tritt ein indigenes Mädchen, das von einem Weißen entführt wurde), das ihm Jahr zuvor durch The Searchers ausgesprochen bekannt wurde, hätte ich einem Film wie diesem gar nicht zugetraut.²

Überhaupt ist Rita Moreno hinreißend. Auch Jay C. Flippen gibt den psychopathischen alten Skalpjäger auf überzeugende Weise, besonders in der Interaktion mit Forrest Tucker. Sie spielen Hutter und March so, dass beide sich nicht ausstehen können, aber aufgrund ihrer Gier und Furcht vor den Huronen geht es auch nicht ohne einander. March, der mit Judith verlobt ist, sieht diese zunächst als bloßes Mittel, um umso besser am einträglichen Skalpgeschäft ihres Vaters partizipieren zu können.

Im Vergleich zu diesem Ensemble mit all seinen pathologischen Verstrickungen bleibt Lex Barker, der ohnehin kein großer Schauspieler war, ein ziemlich blasser, austauschbarer Wildtöter. Und Carlos Rivas’ Rolle als Chingachgook ist lediglich die eines wenig eigenständigen Sidekicks. Das mag auch daran liegen, dass etwa 20 Minuten des ursprünglichen Films fehlen. So gilt: Moreno, Flippen und Tucker sind es, die hier die Show stehlen.

Während die Neuerung, aus Hetty Hutter ein geraubtes indigenes Kind zu machen, eine gelungene Aktualisierung darstellt, ist das Ende des Films, das ebenfalls von Coopers Vorlage abweicht, in meinen Augen etwas konfliktscheu geraten. Dabei kommt die bereits angesprochene versöhnliche Haltung voll zum Tragen. Die sieht in diesem Fall vor, dass es einen redemptive arc geben muss, nämlich für Harry March. Ich muss gestehen, es hätte mir besser gefallen, wenn March am Ende die Rechnung für sein Verhalten präsentiert worden wäre. Insgesamt war Neumanns Deerslayer für mich aber interessanter, als ich erwartet hätte: Ich würde gern mal die Original-Kinofassung sehen.

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¹ Das bekannteste Beispiel dafür stellen die englische und die spanische Version von Universals Dracula (1931) dar.

² 1960 erzählte John Huston in The Unforgiven eine ähnliche Geschichte, wobei er versuchte, Neumanns Kintopp durch ernsthaftes Drama zu ersetzen.

8. November 2024

Geronimo (1962)

Deutscher Titel: Das letzte Kommando / Sein letztes Kommando · Regie: Arnold Laven · Drehbuch: Pat Fielder · Musik: Hugo Friedhofer · Kamera: Alex Phillips · Schnitt: Marsh Hendry · Produktion: Levy-Gardner-Laven.

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Geronimo (Chuck Connors) ergibt sich gemeinsam mit den letzten freien Apache der US-Kavallerie und lässt sich ins Reservat San Carlos in Arizona führen. Dort werden ihm und seinen Leuten gleich bei der Ankunft die Pferde abgenommen. Die bräuchten sie jetzt nicht mehr, erklärt der Indianeragent Burns (John Anderson), denn fortan würden sie vom Maisanbau leben. In San Carlos trifft Geronimo seinen alten Kumpel Mangus (Ross Martin), der sich mit den neuen Verhältnissen arrangieren will, und lernt Teela (Kamala Devi) kennen, die im Reservat aufgewachsen ist. Teela liebt Bücher und versucht, unter den Apache eine Art Alphabetisierungskampagne durchzuführen. Sie ist überzeugt, dass die Apache den Respekt der Weißen gewinnen würden, wenn sie Lesen und Schreiben lernen. Geronimo versetzt das alles in eine äußerst missmutige Stimmung.

Seine schlechte Laune ist auch alles andere als unbegründet. Burns lässt sich von dem Makler Kincaide (Joe Higgins) bestechen und gibt das Farmland der Apache zur Weidenutzung durch weiße Rancher frei. Als Gerüchte über Burns’ Korruption unter den Apache die Runde machen, sucht Geronimo den Agenten nachts in seinem Haus auf und nagelt ihm die Hand mit einem Brieföffner auf dem Schreibtisch fest. Anschließend holt er sich mit einer kleinen Gruppe rebellischer Apache, darunter der desillusionierte Mangus, die beschlagnahmten Pferde zurück und flieht nach Mexiko. Teela weigert sich mitzukommen und bleibt im Reservat. Mit der Verfolgung der Apache wird der rassistische Kavallerieoffizier Maynard (Pat Conway) beauftragt, der in Burns’ korrupte Machenschaften verwickelt ist. Es beginnt eine Hetzjagd, denn den Apache mangelt es an Munition und Lebensmitteln. Doch ihr Kampfeswille ist ungebrochen.

Auf dem Weg nach Mexiko beobachtet Geronimo eine weiße Siedlerin (Nancy Rodman), die ihren Sohn anhält, seine Schreibübungen zu machen. Das erinnert ihn an Teela und bringt ihn auf die Idee, eine bürgerliche Kleinfamilie zu gründen. Er schleicht sich ins Reservat, und diesmal ist Teela bereit, ihn zu begleiten – auf Basis eines Kompromisses: Die Apache sollen frei sein, aber trotzdem Lesen und Schreiben lernen.

John Fords Stagecoach ist vielleicht der beste Western aller Zeiten. Zugleich schrieb er ein fatales Bild Geronimos und der Apache fest: Während die höchst unterschiedlichen Individuen im Innern der dahinrasenden Postkutsche sich im Laufe des Films zu einer solidarischen Gesellschaft zusammenfinden, treten die Apache, die die Postkutsche verfolgen, erst gar nicht als Individuen in Erscheinung. Sie sind ein Teil der feindseligen Natur, die die Menschen in der Postkutsche bedroht, nicht anders als der eisige Wind, der Staub und der Wassermangel.

Auch in der Stummfilmzeit gab es schon zahlreiche Produktionen, welche die Indigenen Nordamerikas auf ähnliche Weise darstellten. Der älteste erhaltene Western überhaupt, Kidnapping by Indians (1899), zeigt den Versuch indigener Krieger, eine weiße Frau zu entführen. Es ist der erste von hunderten Filmen, in denen weiße Weiblichkeit durch Indigene bedroht wird. Aber die Sache war damals noch nicht ganz ausgemacht, denn auf der anderen Seite gab es indigene Leinwandstars wie Jesse Cornplanter und Lillian St. Cyr, die eine eigene Perspektive einbringen konnten. Die frühe Tonfilmzeit machte dieser Ambiguität ein Ende. Indigene Figuren, nun (bis auf wenige Ausnahmen) von weißen Darsteller*innen in Redface gespielt, wurden auf die Rollen des namenlosen Feindes, des edlen Wilden oder des unterwürfigen Helfers an der Seite weißer Pioniersfiguren reduziert.

Erst in den fünfziger Jahren regte sich in Teilen Hollywoods das schlechte Gewissen. Es entstanden »Indianerwestern« mit dem Anspruch, das stereotype Bild zu korrigieren – wobei nicht selten negative Stereotypen durch positive ersetzt wurden. Das betraf auch die Casting-Politik. Indigene Charaktere, die Sympathie erregen sollten, wurden mit weißen Publikumslieblingen wie Burt Lancaster, Audrey Hepburn oder Steve McQueen besetzt. Aus heutiger Sicht führt das auch bei solchen Filmen, die es mit ihrer Thematisierung des am indigenen Amerika begangenen Unrechts einigermaßen ernst meinen, zu einem gewissen Cringe-Faktor.

So auch bei Arnold Lavens Film. Die Rolle des Geronimo von einem blauäugigen Irish American wie Chuck Connors spielen zu lassen, ist schon eine ziemlich eigentümliche Entscheidung. Die weibliche Hauptrolle der Teela wurde hingegen mit der britischen Schauspielerin Kamala Devi besetzt, die indische Wurzeln hatte.¹ Wenn es einen Anlass für den »White people, still not knowing what an Indian is after 500 years«-Witz braucht, hier ist er.

Handelt es sich bei Geronimo denn um einen Film, der seine Thematik ernst meint? Es ist schwer zu sagen, nicht nur wegen der Besetzung der Hauptrollen. Einerseits geht der Film, gemessen an den Möglichkeiten des Jahres 1962, ziemlich weit, was die Charakterisierung seiner Schurken betrifft. Der Indianeragent Burns wird als bigotter Heuchler gezeigt, der mit der Bibel wedelnd die Apache mit frommen Sprüchen traktiert und zugleich Bestechungsgelder annimmt. Die Szene, in der Geronimo ihm die Hand, in der er normalerweise die Bibel hält, mit dem Brieföffner durchbohrt, ist deshalb sehr befriedigend. Auch der hasserfüllte Kavalleriehauptmann Maynard kriegt sein Fett weg. Der Dritte im Bunde der Antagonisten ist Henry (Claudio Brook), der glattzüngige Store-Betreiber des Reservats (dessen vorzüglicher Darsteller ruhig ein paar Szenen mehr haben könnte).²

Was dem Film bei seinen Schurken gelingt, misslingt ihm auf der Seite des Helden und seiner Geliebten. Geronimo lässt er ständig Sätze sagen, die sehr nach den Werten des liberalen Hollywood klingen, aber nicht gerade nach dem listigen Apache-Strategen, der drei Jahrzehnte lang die mexikanische und die US-Armee an der Nase herumführte. Ausgemacht komisch wird es, sobald Geronimo und Teela ein Paar sind. Ab da verwandeln sich weite Teile der Handlung in eine Art Tarzan-und-Jane-Geschichte, indem etwa Teela ihrem ahnungslosen bon sauvage erklärt, wie menschliche Fortpflanzung funktioniert – sie hat es in einem Buch gelesen. Bei Szenen wie dieser frage ich mich, ob sie nicht auch schon das Publikum von 1962 unwillkürlich zum Lachen brachten.

Am Ende geht im Film übrigens alles gut aus. Geronimos Verfolger geraten unter politischen Druck aus Washington, und ein junger Kavallerieleutnant (Adam West) überbringt einen neuen, besseren Friedensvertrag. Leider lief es in Wirklichkeit keineswegs so versöhnlich ab: Geronimos Leute wurden nach seiner endgültigen Kapitulation nach Florida deportiert, wo viele von ihnen sich mit Tuberkulose ansteckten und starben. Geronimo selber musste, ebenfalls in Florida, eine Haftstrafe absitzen. Dabei wurde er wie eine Ein-Mann-Völkerschau behandelt. Wer immer den berühmten Apache sehen wollte, wurde zu seiner Zelle vorgelassen und durfte ihn anglotzen.

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¹ Anders als für Geronimo, Mangus und ihren Verfolger Captain Maynard (der in Wirklichkeit Crawford hieß) gibt es für Teela meines Wissens kein direktes historisches Vorbild. Geronimo war im Laufe seines Lebens mit verschiedenen Frauen verheiratet.

² Geronimo wurde in Mexiko gedreht, und es treten neben Claudio Brook noch weitere mexikanische Schauspieler*innen auf, darunter Eduardo Noriega, Armando Silvestre und Mario Navarro.

11. März 2024

Custer of the West (1967)

Deutscher Titel: Ein Tag zum Kämpfen · Regie: Robert Siodmak · Drehbuch: Bernard Gordon, Julian Zimet · Musik: Bernardo Segall · Kamera: Cecilio Paniagua · Schnitt: Peter Parasheles, Maurice Rootes · Produktion: Cinerama.

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Custer of the West ist ein Beispiel für einen Spätwestern, der etwas Neues sagen will – dass das Vorgehen gegen die amerikanischen Indigenen nach dem Bürgerkrieg fundamental ungerecht war. Zugleich will er aber um keinen Preis die heroische Aura der Figur beschädigen, die für eben dieses Vorgehen maßgeblich verantwortlich war. Es ist ein so widersprüchlicher Versuch, dass er in sich zusammenfallen muss und dies mit einiger Zwangsläufigkeit auch tut.

Der Grund für das Schlamassel ist vermutlich darin zu sehen, dass Custer of the West ein typischer Studiofilm ist, bei dem jede*r ein eigenes Süppchen kochte. Ursprünglich plante 20th Century Fox einen Film über General Custer, bei dem Fred Zinnemann Regie führen sollte. Aus Kostengründen wurde das Projekt aufgegeben, worauf mit Cinerama ein anderes Studio die Gelegenheit beim Schopf packte und auf die rettende Idee kam: Kosten lassen sich bei Western bekanntlich einsparen, indem man den Drehort einfach nach Spanien verlegt.

Zunächst versuchte Cinerama, Akira Kurosawa für den Regiestuhl zu gewinnen. Und wer weiß, was das für einen Film ergeben hätte? Aber es wurde nichts daraus, und das Studio verpflichtete den Veteran Robert Siodmak, der zuvor einige Karl-May-Filme gedreht hatte. Siodmak zeigte allerdings wenig Lust, sich bei dem Projekt wirklich zu engagieren. Bei vielen Szenen war es Hauptdarsteller Robert Shaw, der de facto Regie führte. Shaw scheint es auch gewesen zu sein, der auf Biegen und Brechen versuchte, Custer zu einer Figur mit Licht- und Schattenseiten zu machen, die am Ende Fairness und Verständnis für ihre Gegner*innen zeigt.

Bernard Gordon und Julian Zimet, die beiden Drehbuchautoren, hatten vom Studio die Weisung erhalten, Custer als tadellosen Helden zu zeichnen. Shaw hielt sich allerdings nicht daran und improvisierte die Rolle frei. In der ersten Hälfte des Films stellt er Custer als gnadenlosen Leuteschinder dar, der sich selbst und seinen Untergebenen gegenüber nichts als Härte zeigt. Man fragt sich unwillkürlich, ob Custer hier eine Art Antiheld sein soll, denn es ist kaum möglich, Sympathie für ihn zu empfinden.¹

In der zweiten Filmhälfte wandelt sich das Bild plötzlich. Custer reist nach Washington, um vor dem Kongress zu erklären, es gebe kein »Indianerproblem«, sondern nur ein »Weißenproblem«. Die Ureinwohner*innen kämpften schließlich nur ehrenhaft um ihr Land. Ab da wird Custer als ein Mensch gezeigt, dem seine eigene Welt fremd geworden ist. Als ihm eine neue militärische Erfindung – ein gepanzerter Schienenwagen – demonstriert wird, wendet er sich schaudernd ab: Wo bleibe da der offene, ritterliche Kampf Mann gegen Mann? Das politische Establishment von Washington schmäht ihn fortan, so will es zumindest dieser Film.

Nun entspricht der echte Custer keiner von Shaws beiden Interpretationen. Der harte Hund, als der er zu Beginn dargestellt wird, war er gewiss nicht. Der historische Custer war ein eitler Pfau mit wallender Lockenpracht und großer Vorliebe für maßgeschneiderte Phantasieuniformen. Er achtete darauf, bei seinen Feldzügen von Journalisten begleitet zu werden und ließ sich liebend gern fotografieren. Er war ein Medienprofi, der sein Image als schneidiger Held der frontier erfolgreich selbst geschaffen hatte. Die zeitgenössische Öffentlichkeit verehrte ihn.

Kann man den Custer der ersten Filmhälfte noch als verfehltes Hollywood-Porträt abtun, wird es in der zweiten Filmhälfte richtiggehend verlogen. Als Kommandeur des 7. Kavallerieregiments war der historische Custer der Military Division of the Missouri unterstellt. Die Aufgabe dieses Truppenverbands war es, die indigenen Stämme der Great Plains in Reservate zu treiben, um so die Region für weiße Besiedlung zu erschließen. Natürlich waren nicht alle Ureinwohner*innen bereit, dies kampflos hinzunehmen. Insbesondere Lakota und Cheyenne leisteten erbitterten Widerstand.

Custers unmittelbarer Vorgesetzter, der Divisionskommandeur General Sheridan (im Film von Lawrence Tierney gespielt), entwickelte daraufhin eine Strategie der totalen Kriegsführung. Die Truppen der Missouri Division sollten gezielt indigene Dörfer angreifen und dabei nicht zwischen Männern, Frauen und Kindern unterscheiden. Geiselnahmen und auch die Ausrottung ganzer Stämme und Völker erklärte Sheridan für legitim. Custer für seinen Teil setzte diese Vorgaben eifrig um.

Die Lage spitzte sich zu, als eine von Custer aufgestellte Expedition in den Black Hills Gold fand. Das Gebiet rund um die Black Hills war in den  Verträgen von Fort Laramie (1851 und 1868) den Lakota zugesprochen worden. Schon die Expedition an sich verletzte die Vertragsbestimmungen, denn das Gebiet sollte von Weißen nicht betreten werden. Doch jetzt, nach dem Goldfund, waren die Verträge das Papier nicht mehr wert, auf dem sie geschrieben waren. Innerhalb kurzer Zeit strömten tausende von weißen Glückssucher*innen in die Black Hills.

Die Lakota wehrten sich, und so kam es am 25. Juni 1876 am Little Bighorn River zur Konfrontation zwischen Custers Kavallerie und einer Koalition aus Lakota und Cheyenne. Custers Regiment rückte in drei getrennten Abteilungen vor, und die von Custer persönlich geführte Abteilung traf zuerst auf die Hauptmacht der Cheyenne und Lakota. Die beiden anderen Bataillone lagen weit zurück oder waren anderswo in Gefechte verwickelt. Custer entschloss sich dennoch, sofort anzugreifen, und wurde mit seiner Abteilung völlig aufgerieben.

Warum Custer angriff, ohne auf Verstärkung zu warten, ist bis heute nicht ganz geklärt. Der Film findet eine eindeutige Antwort: Custer, von Washington aufgrund seiner Sympathie für den Feind geächtet, hat nur noch den Wunsch, im Kampf mit eben diesem Feind den Tod zu finden. Er geht in die Schlacht, um zu sterben. Der wirkliche Custer dürfte einer weitaus schnöderen Motivation gefolgt sein: Er wollte vermutlich den Ruhm für sich allein einheimsen, den er anderenfalls mit seinen Offizieren, die die anderen Bataillone befehligten, hätte teilen müssen.

Und der Ruhm sollte Custer gehören, wenn auch nicht ganz in der Weise, wie er sich es wohl vorgestellt hatte. Im Offizierskorps dürfte man sich durchaus eigene Gedanken zu Custers desaströsem Vorgehen gemacht haben. Aber diese offen auszusprechen, hätte möglicherweise eine empfindliche Kürzung des Militärbudgets durch den Kongress bedeutet. So verlegte sich die Armee aus PR-Gründen darauf, das Heldentum und den Wagemut Custers herauszustreichen. Daneben arbeitete Custers Witwe Libbie (im Film von Mary Ure gespielt) unermüdlich daran, das Heldenimage ihres Mannes auch nach seinem Tod aufrecht zu erhalten. Sie schrieb drei Bücher über ihren Gatten und hielt zahllose Reden über ihn, bis sie 1933 im Alter von 90 Jahren starb.

Im Jahr 1967 war das Kinopublikum allerdings nicht mehr so naiv, diese Glorifizierung einfach hinzunehmen. Custer of the West entwickelte sich zum totalen Flop. Von den Produktionskosten in Höhe von vier Millionen Dollar spielte er lediglich einen Bruchteil wieder ein. Selten hat ein Film das so verdient wie dieser.

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¹ Sympathie für die Filmfigur, meine ich hier ausdrücklich. Der historische Custer ist ohnehin verloren.

20. Februar 2022

September Dawn (2007)

Regie: Christopher Cain · Drehbuch: Christopher Cain, Carole Whang Schutter · Musik: William Ross · Kamera: Juan Ruiz Anchía · Schnitt: Jack Hofstra · Produktion: Black Diamond Pictures.

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Im Jahr 1857 überfielen im Süden Utahs mormonische Milizionäre den Wagentrek der Baker-Fancher-Gesellschaft und ermordeten 120 Siedler*innen. Der Trek, benannt nach seinen Anführern John Twitty Baker und Alexander Fancher, kam aus Arkansas und war auf dem Weg nach Kalifornien. Die von der Überquerung der Rocky Mountains erschöpften Siedler*innen hatten wahrscheinlich gehofft, Utah schnell und unauffällig durchqueren zu können.

Jedoch hatten sie nicht mit der paranoiden und gewalttätigen Stimmung gerechnet, die zu dieser Zeit die mormonische Bevölkerung Utahs erfasst hatte. Man erwartete dort täglich eine großangelegte Invasion der US-Armee, seit Präsident Buchanan angekündigt hatte, mit militärischen Mitteln gegen die Institution der »plural marriage« vorgehen zu wollen. Mormonische Polygamie sorgte in der Tat für Empörung in weiten Kreisen der US-Gesellschaft. Buchanans Gründe für die Wendung gegen die Heiligen der letzten Tage waren allerdings ziemlich durchsichtig: Er wollte damit (erfolglos) vom Konflikt um die Sklaverei ablenken, der sich täglich zuspitzte und wenige Jahre später im Bürgerkrieg mündete.

Obwohl die befürchtete Invasion Utahs auf sich warten ließ, verknüpfte die Angst davor sich unter den Mormon*innen mit apokalyptischen Vorstellungen. Und Brigham Young, der sowohl Gouverneur von Utah als auch Oberhaupt der mormonischen Kirche war, goss zusätzlich Öl ins Feuer, indem er zu jeder Gelegenheit seine Lehre vom »blood atonement« verkündete: Manche Sünden seien so schwerwiegend, erklärte er, dass sie nur gesühnt werden könnten, indem man das Blut der Sünder*innen vergieße. Diese Lehre ließ sich nur zu leicht als Freibrief zur Gewalt gegen alle Nichtmormon*innen verstehen.

Die Baker-Fancher-Gesellschaft platzte mitten in diese aufgeheizte Situation hinein. In Utah gingen Gerüchte um, der Wagentrek führe große Reichtümer mit sich. Mormonische Würdenträger überredeten eine Gruppe von Paiute-Indigenen, den Trek zu überfallen. Die mormonische Miliz würde ihnen dabei helfen. Allerdings nutzten die Milizionäre die Paiute auf hinterhältige Weise aus. Sie verkleideten sich vor dem Überfall als Indigene, um die Verantwortung für die Bluttat allein den Paiute in die Schuhe schieben zu können.

Der erste Überfall fand am 7. September statt. Verkleidete Milizionäre unter dem Befehl von John D. Lee, Brigham Youngs Adoptivsohn, griffen die Siedler*innen im Verbund mit einer kleinen Zahl Paiute an. Der Überfall wurde zurückgeschlagen, aber den Siedler*innen war klar, dass sie umzingelt waren. Am 11. September, als die Lebensmittel bereits knapp wurden, erschien Lee mit weißer Flagge im Lager und erklärte heuchlerisch, er habe mit den »hostile Indians« verhandelt. Er versprach den Siedler*innen freies Geleit. Ihre Waffen, Pferde und Wagen müssten sie allerdings zurücklassen. Die Siedler*innen durchschauten Lees Spiel vermutlich, aber ausgehungert, wie sie waren, blieb ihnen keine andere Wahl. Kaum hatten sie ihr Lager unbewaffnet und zu Fuß verlassen, wurden die Männer der Gesellschaft aus nächster Nähe per Kopfschuss ermordet. Anschließend fielen Lees Milizionäre über die Frauen und Kinder her und schlachteten sie mit Messern und Gewehrkolben förmlich ab.

Nur Kinder unter fünf Jahren wurden am Leben gelassen und mormonischen Familien übergeben. Der US-Regierung gelang es später, diese Kinder zu identifizieren und ihren Verwandten zurückzugeben. Davon abgesehen, hatte das Massaker kaum Konsequenzen. Die mormonische Führung leugnete zunächst jede Beteiligung: Die Siedler*innen seien von den Paiute ermordet worden, und nur von ihnen. Später schob man John D. Lee (im Film mit der überzeugendsten Darbietung: Jon Gries) die alleinige Verantwortung zu. Als einziger Beteiligter an dem Massaker wurde er vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Bis heute gibt es eine Kontroverse darüber, ob Brigham Young persönlich Mitverantwortung für das Massaker trug. Die mormonische Kirche präsentiert zu seiner Entlastung einen von ihm geschriebenen Brief – der allerdings ziemlich doppeldeutig formuliert ist. Man kann ihn auch als verklausulierte Aufforderung lesen, sich beim Überfall auf den Trek bloß nicht erwischen zu lassen. Denn es ist doch eher unwahrscheinlich, dass Young, der Utah mit eiserner Faust regierte, von den Machenschaften seines eigenen Adoptivsohns nichts gewusst haben will.

Christopher Cains Film September Dawn stellt Young, gespielt von Terence Stamp, recht eindeutig als für die Bluttat verantwortlich dar. Die Siedler*innen zeigt er als so naiv und vertrauensselig, dass es die Glaubwürdigkeit strapaziert. Aber mit der Glaubwürdigkeit hat September Dawn es ohnehin nicht so. Der Film wird seiner ernsten Thematik an keiner Stelle gerecht.

Im Mittelpunkt der Handlung steht die Pastorentochter Emily (Tamara Hope), die dem Baker-Fancher-Trek angehört und sich in den Pferdeflüsterer Jonathan (Trent Ford), einen jungen Mormonen, verliebt. Jonathan erwidert ihre Gefühle und gerät deshalb in Konflikt mit seinem Vater (Jon Voight), der als mormonischer Bischof eine treibende Kraft bei dem Anschlag auf den Siedler*innen ist.

Nicht nur diese Liebesgeschichte, sondern die komplette Filmhandlung wird mit einem Ausmaß an Overacting dargestellt, wie ich es schon lange nicht mehr gesehen habe. Der unfreiwillig komische Eindruck, der dadurch erzeugt wird, verstärkt sich noch durch die Erzählweise des Films. Zahlreiche oft unmotivierte Vor- und Rückblenden machen September Dawn zu einer ziemlich verwirrenden Angelegenheit. Hinzu kommt die Synchronisation, die auf einer sprachlich unterirdischen Übersetzung beruht und von Sprecher*innen vorgetragen wird, die unter dem Einfluss sedierender Medikamente zu stehen scheinen.

Es ist angesichts der Tragik der historischen Ereignisse nicht wirklich angemessen, doch ich muss gestehen, dass ich den Film auf eine Weise unterhaltsam fand, die ganz sicher nicht intendiert ist. Aber es ist einfach so: September Dawn will dramatisch sein, herausgekommen ist lustiger Trash.

Natürlich versucht der Film trotz allem, ›relevant‹ zu sein. Es wird darin viel Aufhebens um den historischen Zufall gemacht, dass das Baker-Fancher-Massaker am 11. September stattfand. Wer denkt da nicht an den fatalen Anschlag auf das World Trade Center? Aber die mormonischen Milizionäre als Präfiguration heutiger Dschihadist*innen zu zeigen, funktioniert aus verschiedenen Gründen nicht. Zum einen ist der Dschihadismus ein internationales Phänomen, während die religiöse Gewalt, die der Mormonismus zur Zeit Youngs ausübte, ganz homegrown amerikanisch ist.

Zum anderen rechnet der Film nicht mit der historischen Ignoranz seines Publikums. Im 19. Jahrhundert waren die Mormon*innen Verfemte, die von der Mehrheitsgesellschaft Gewalt erfuhren und ihrerseits äußert gewaltsam zurückschlugen. Die zeitgenössische Abenteuerliteratur stellt mormonische Männer gern als heimtückische und erzkriminelle Mädchenhändler dar. (Einschlägige Beispiele sind Arthur Conan Doyles Study in Scarlet, Robert Louis Stevensons The Dynamiter und diverse Romane und Erzählungen von Karl May.) Heute dagegen gelten Mormon*innen als eine Stütze des weißen, konservativen Amerika, die sich nur durch einige skurrile Glaubensinhalte von ihren evangelikalen Geschwistern unterscheiden.

Was das historische Ambiente angeht, gibt sich September Dawn zwar durchaus korrekt. Brigham Young und den in einer Rückblende von Dean Cain dargestellten Joseph Smith lässt der Film zahlreiche Originalzitate sprechen. Gerade deshalb schlug dem Film aber ein gewisser Unglaube entgegen. Der Kontrast zwischen Youngs und Smiths authentischen Worten und dem heutigen Saubermann-Image der Latter Day Saints ist zu stark. Das zeigt sich deutlich an der Filmbesprechung von USA Today: Rezensent Michael Medved beschwert sich in schönster Offenheit, dass es doch viel besser gewesen wäre, einfach einen Film über (so wörtlich) »Islamo-Nazi killers« zu machen, statt historische Umwege zu gehen.