10.4.24

Die blutigen Geier von Alaska (1973)

Inhaltshinweise: Sexuelle Gewalt, Tierquälerei.

Alternativtitel: Die Höllenhunde von Alaska / Die Geier vom Shilo River · Regie: Harald Reinl · Drehbuch: Kurt Nachmann · Musik: Bruno Nicolai · Kamera: Heinz Hölscher · Schnitt: Eva Zeyn · Produktion: Lisa Film.

The Call of the Wild (1972) von Ken Annakin machte es möglich: Er löste den letzten großen Trend innerhalb des Euro-Westerns aus. Annakins Film erwies sich in Italien als Kino-Erfolg, und die italienische Filmindustrie tat das, was sie am liebsten tat und kopierte, was das Zeug hielt. Den Anfang machte Lucio Fulci mit Zanna Bianca (1973) und Il ritorno di Zanna Bianca (1974). Diesen Filmen folgten inoffizielle Fortsetzungen sowie weitere Produktionen, die entweder Werke von Jack London verfilmten oder sich als solche Verfilmungen ausgaben.¹ Noch schneller als die Italiener*innen waren in diesem Fall allerdings die Westdeutschen. Schon 1972 wartete Harald Reinl mit Der Schrei der schwarzen Wölfe auf, dem im Jahr darauf Die blutigen Geier von Alaska folgte.

Die Formelhaftigkeit dieser London-Verfilmungen (und Pseudo-London-Verfilmungen) fällt sofort ins Auge. Es ist selbst für Genre-Verhältnisse ungewöhnlich, mit welcher Sturheit an dem stets gleichen Grundrezept festgehalten wird: Es gibt immer ein krankes Kind, einen treuen Hund und einen raubeinigen Beschützer. Der Handlungsort ist Alaska zur Zeit des Goldrauschs. Und meistens spielt Raimund Harmstorf mit. Die zur Schau getragene Kinderfreundlichkeit dieser Filme wird nicht selten dadurch konterkariert, dass sie recht brutale Szenen mit Tierkämpfen enthalten. Ich gestehe es offen – ich bin alles andere als ein Fan dieses Subgenres mit seiner Mischung aus Sentimentalität und gelegentlicher Grausamkeit.

Die blutigen Geier von Alaska basiert nicht direkt auf Jack London, folgt aber getreu der beschriebenen Formel: Der Goldsucher Sanders (Kurt Bülau) hat auf indigenem Land eine Goldader gefunden, die auszubeuten er fest entschlossen ist. Bei einem Unfall in der Grube verletzen sich Sanders und sein Sohn Billy (Ivan Stimac) schwer. Billy verfällt in ein starkes Fieber. Der Jäger Don Rutland (Doug McClure) will den Jungen zu einem Arzt bringen.

Zur gleichen Zeit wird in der Prospektorensiedlung Camp Kino ein Transport vorbereitet, der die gesammelten Goldfunde des Umkreises nach Paradise Creek bringen soll. Sheriff Cotton und Deputy Buffins (Miha Baloh) reiten als Eskorte mit. Rutland trifft auf den Transport, vertraut ihm den kranken Billy an und reitet zurück zu Sanders. Banditen unter Mark Monty (Harald Leipnitz) überfallen den Transport und töten die Begleitmannschaft bis auf Buffins, der mit den Banditen unter einer Decke steckt. Billy, der sich im Fieberwahn nicht an seinen Namen erinnern kann, wird von Monty in das Lager der Banditen verschleppt. 

Nachdem Sanders von Indigenen getötet wurde, die (sehr berechtigte) Einwände gegen seine Goldschürferei auf ihrem Land hatten, begibt Rutland sich nach Camp Kino. Dort amtiert Buffins als neuer Sheriff und sabotiert die Suche nach dem geraubten Gold. Rutland schließt sich zusammen mit Rose Cotton (Kristina Nel), der Tochter des beim Überfall ermordeten Sheriffs, und Ham-a-Ham (Roberto Blanco), einem Boxer mit übermenschlichen Kräften. Gemeinsam mit Buck, dem Hund der Sanders, machen sie sich auf die Suche nach den Banditen und dem verschwundenen Billy. Buffins sperrt Rutland unter falschen Vorwürfen ins Gefängnis.

Monty und sein Spießgeselle Lapporte (Klaus Löwitsch) kommen nach Camp Kino und erklären, unverhofft einen reichhaltigen Goldfund gemacht zu haben. Mit dieser Behauptung wollen sie ihren Überfall auf den Goldtransport verschleiern. Es kommt zu einem allgemeinen Besäufnis im Saloon. Monty versucht, die Saloondame Betty (Angelica Ott) zu vergewaltigen, und ersticht ihren Chef, Captain Brandy (Heinz Reincke), als dieser dazwischengeht. Rutland, der sich aus dem Gefängnis befreien konnte, konfrontiert Monty, Lapporte und Buffins.

Dem Film merkt man in jeder Hinsicht die Agonie an, in der der bundesdeutsche Western à la Reinl sich in den siebziger Jahren wand: Die schwarzen Langhaarperücken sitzen noch schlechter als zehn Jahre zuvor. In einer Szene, die eine Dynamit-Explosion darstellt, sieht man die Drähte des Pyrotechnikers mitten im Bild. Doug McClure ist als Ersatz-Harmstorf alles andere als überzeugend. Roberto Blanco darf ein antirassistisches Statement abgeben, das sofort dadurch konterkariert wird, dass sein Charakter den lächerlichen Namen Ham-a-Ham trägt. Und Miha Baloh spielt den verräterischen Deputy mit einer derart gelangweilten Miene, als wolle er stumm gegen den Film und sein Drehbuch protestieren.

Überhaupt, das Drehbuch. Es wartet mit einem Deus ex machina auf: Als der sterbenskranke Billy von den Banditen verschleppt wird, haben die rein zufällig einen Arzt in ihrem Lager, der Billys Fieber lindert. Am Ende artet es in einen vollendeten idiot plot aus: Als die Banditen mit ihrer hanebüchenen Geschichte vom Goldfund, der zeitgleich mit dem Goldraub stattfand, in der Siedlung auftauchen, erregen sie kaum einen Verdacht. Mit den kriminalistischen Fähigkeiten der Leute von Camp Kino ist es offenbar nicht weit her – eigentlich perfekt für die Banditen. Aber Monty, ihr Anführer, lässt sich hemmungslos volllaufen und begeht einen Vergewaltigungsversuch und einen Mord, so dass die Bande unweigerlich auffliegt. Ist das einfältig oder geschmacklos? Es ist beides.

Es gibt wirklich nicht viel, was sich Wertschätzendes über Die blutigen Geier von Alaska sagen lässt. Letztlich sind es zwei Dinge: Die Landschaftsaufnahmen, die in Österreich und Jugoslawien gefilmt wurden, sind grandios – wie immer bei Reinl. In ihnen zeigt sich das bleibende Talent eines Regisseurs, der ansonsten sein Pulver längst verschossen hatte. Und mit Kristina Nel als Sheriffstochter auf der Suche nach ihrem ermordeten Vater gibt es (für Genre-Verhältnisse) eine ziemlich aktive Frauenfigur, die nicht mal gerettet werden muss. Ein anderer Film wäre durch Nels Rolle besser geworden. Dieser leider nicht.

An den Kinokassen fiel der Film durch. Für das westdeutsche Fernsehen wurde er in Die Geier vom Shilo River umbenannt, in der Hoffnung, er würde für ein Spin-off der Serie Die Leute von der Shiloh Ranch gehalten, in der Doug McClure ebenfalls mitspielte. Die DDR zeigte den Streifen unter dem Namen Die Höllenhunde von Alaska. Wenig überraschend änderten die alternativen Titel aber auch nichts an dem Schlamassel, das dieser Film darstellt.

¹ Das ganze wiederholte sich Anfang der neunziger Jahre noch mal in kleinerem Maßstab anlässlich des Disney-Films White Fang (1991).

2.4.24

Die Hölle von Manitoba (1965)

Alternativtitel: Die weiße Hölle von Manitoba · Regie: Sheldon Reynolds · Drehbuch: Edward Di Lorenzo, Fernando Lamas, F. X. Toole · Musik: Angel Arteaga · Kamera: Federico G. Larraya · Schnitt: Teresa Alcocer, Roberto Cinquini · Produktion: CCC Film, Midega Film.

Nachdem Atze Brauner aus schierer Verzweiflung darüber, nicht mehr Karl-May-Stoffe verfilmen zu können, 1964 sogar Freddy Quinn in den Wilden Westen geschickt hatte, schien ihm im Jahr darauf endlich das Glück zu winken: Pierre Brice und Lex Barker standen ihm beide für einen Film zur Verfügung, wenn auch in Nicht-May-Rollen.

In Glory City soll der Jahrestag der Stadtgründung mit einem Zweikampf gefeiert werden: Zwei Revolverhelden treten gegeneinander an, dem Sieger winkt ein Preisgeld. Es gibt nur ein Problem: Reese (Pierre Brice) hat einen der Kontrahenten erschossen. Also macht er sich nach Glory City auf, um den Platz des Toten einzunehmen. In der Stadt schwelt ein Konflikt zwischen zwei Ranchern. Seth Grande (George Rigaud) hat sein Land für die Besiedelung durch Homesteader geöffnet. Jack Villaine (Gérard Tichy) hält gar nichts von diesem neumodischen Unsinn und setzt seine sieben Pistoleros (u.a. Aldo Sambrell) auf Grande an.

Als Reese in Glory City eintrifft, verbreitet sich das Gerücht, er sei von Grande zu seinem Schutz angeheuert worden. Da Reese verschiedene Zusammenstöße mit Villaine und seinen Pistoleros hat, schlägt er sich auch tatsächlich auf Grandes Seite. Deutlich zurückhaltender ist Brenner (Lex Barker), der zweite Revolverheld. Ihn verbindet eine unglückliche vergangene Liebesgeschichte mit Grandes Tochter Jade (Marianne Koch). In der Gegenwart dient Jade Villaine als Sekretärin/Geliebte, in der Hoffnung, so ihren Vater schützen zu können. Schließlich trifft auch Brenner die Entscheidung, es mit Villaine aufzunehmen. So kommt es, dass Reese und Brenner, die sich in wenigen Tagen in einem Kampf auf Leben und Tod gegenüber stehen sollen, jetzt Seite and Seite kämpfen.

Laut IMDb lief der Film in Österreich unter dem Titel Die weiße Hölle von Manitoba im Kino, offenbar in der Annahme, dass in einem in Kanada spielenden Streifen tiefer Schnee liegen müsste. Weit gefehlt, in Glory City ist keine einzige Schneeflocke zu sehen. Das wäre auch schwer möglich gewesen, denn die Dreharbeiten fanden im Frühjahr ’65 in Spanien statt. Tatsächlich habe ich den Verdacht, dass die Macher*innen dieses Films rein zufällig auf den Namen gekommen sind – und sich nicht viel dabei gedacht haben. Womöglich nahmen sie an, dass Manitoba in den USA liegt? Irgendwelche Hinweise auf Kanada als Handlungsort sind mir jedenfalls nicht aufgefallen.

Die Hölle von Manitoba ist ein vor sich hin plätschernder Film, der mit Actionszenen sehr sparsam umgeht. Brice und Barker (aber insbesondere Brice) machen den Eindruck, als seien sie erleichtert, mal nicht Winnetou und Shatterhand spielen zu müssen. Andererseits wirken sie aber auch nicht so, als seien sie hier mit vollem Einsatz bei der Sache, sondern spielen ihre Rollen eher auf routiniert-beiläufige Weise. Barker bekommt ein paar Szenen, in denen innere Konflikte angedeutet werden. Brice bleibt dagegen weitgehend in der generischen Rolle des mysteriösen, ironisch lächelnden Revolvermanns aus der Fremde.

Rigaud und Tichy machen einen ganz ordentlichen Job als verfeindete Rancher, ohne ihren Figuren wirklich individuelle Züge verleihen zu können. Am interessantesten (interessanter auch als die beiden männlichen Hauptrollen) ist aber Marianne Koch. Als Jade lässt sie sich auf den Ekelsack Villaine ein, um das Leben ihres Vaters zu retten. Der heißt ihr Verhalten natürlich nicht gut, bittet sie am Ende aber immerhin um Verzeihung für seine Verständnislosigkeit. Zugleich muss Jade auch noch damit  klarkommen, dass ihr Ex-Lover Brenner wieder da ist. Gar nicht so einfach. Kein Wunder, dass Jade öfter zu sehen ist, wie sie mit dem Barkeeper Charly (Wolfgang Lukschy) zusammensitzt und zur Beruhigung einen Whisky kippt.

Neben Koch und Lukschy sind mit Aldo Sambrell und Antonio Molino Rojo noch zwei weitere Mitglieder des Casts von Für eine Handvoll Dollar zu sehen. Da Leones Film in den USA erst 1966 in den Kinos lief, bekam das dortige Publikum Koch zuerst in Die Hölle von Manitoba zu sehen. Was nicht das schlechteste ist. Denn während Für eine Handvoll Dollar verdientermaßen zum Klassiker und Die Hölle von Manitoba vergessen wurde, ist es doch so, dass Marianne Koch in diesem Film redet und Agency hat, während sie in jenem völlig in der Opferrolle bleibt, vom Protagonisten gerettet werden muss und dabei kaum ein Wort sagen darf. Der Kontrast ist auffällig. Und Koch ist es, die Die Hölle von Manitoba ein Stück weit sehens- und erinnernswert macht.

Kameramann Federico Larraya filmt gern Alltagsszenen und scheinbar bedeutungslose Details (z.B. eine Frau, die den Boardwalk fegt; ein Kind, das mit einer Marionette spielt). Gelegentlich experimentiert er mit ungewöhnlichen Perspektiven. Richtig austoben kann er sich beim Fotografieren der antiklimaktisch erzählten Schlussszene mit dem Schaukampf, in der die nach Blut lechzenden Bürger*innen von Glory City sich auf den Balkons und Straßen drängen. Das Editing von Renato Cinquini macht manchmal einen etwas erratischen Eindruck, von dem ich nicht weiß, ob er gewollt ist (oder auf Studio-Interventionen zurückgeht).

Bemerkenswert ist auch, dass Die Hölle von Manitoba komplett darauf verzichtet, die Formel der Karl-May-Filme zu kopieren. Die Idee, dass eine Stadt ihren Jahrestag mit einem blutigen Gladiatorenkampf feiert, könnte kaum weiter weg davon sein. Einzig die Tatsache, dass Lex Barker auch hier keinen Hut trägt, lässt sich als Anspielung auf seine Shatterhand-Rolle verstehen.

Insgesamt hinterlässt Die Hölle von Manitoba den Eindruck eines Films, der unentschlossen bleibt. Er will sichtlich ein konventioneller Western mit konventionellen Themen (Konflikt zwischen zwei Ranchern, Partnerschaft zweier ungleicher Revolverhelden) sein. Andererseits kommt er mit ›ungewöhnlichen‹ Elementen (wie der Schaukampf-Story, oder auf formaler Ebene der Kameraarbeit) daher. Man weiß nicht so recht, wie man sich diesen Film ansehen soll, auf welcher der beiden Seiten der Schwerpunkt liegt. Eine stärkere Regie hätte vielleicht für eine Entscheidung sorgen können. Aber so oder so: Wegen Marianne Koch habe ich Die Hölle von Manitoba ganz gerne gesehen.

26.3.24

Un minuto per pregare, un istante per morire (1968)

Alternativtitel: Dove vai ti ammazzo · Deutscher Titel: Mehr tot als lebendig · Regie: Franco Giraldi · Drehbuch: Ugo Liberatore · Musik: Carlo Rustichelli · Kamera: Aiace Parolin · Schnitt: Alberto Gallitti · Produktion: Documento Film.

Clay McCord (Alex Cord) ist mit seinem Kumpel Fred Duskin (Giampiero Albertini) auf der Flucht vor dem Gesetz. McCord ist ein tödlicher Revolverschütze, aber er leidet an plötzlich auftretenden Krämpfen im rechten Arm, die ihn immer wieder kampfunfähig machen. Er glaubt, dieses Leiden von seinem Vater, einem Epileptiker, geerbt zu haben. Als Kind sah er hilflos zu, wie sein Vater an den Folgen eines epileptischen Anfalls starb.

McCord und Duskin sind auf dem Weg zu Padre Santana (Daniel Martín), von dem sie sich Linderung für McCords Krankheit erhoffen. Der Franziskanermönch wurde allerdings von zwei Kopfgeldjägern, Sean (Antonio Molino Rojo) und Jesús María (Aldo Sambrell), ermordet. Diese verschanzen sich in Santanas Kirche, um den beiden Outlaws dort aufzulauern. McCord macht jedoch kurzen Prozess mit ihnen. Duskin empfiehlt McCord, wegen seines Arms lieber einen Arzt aufzusuchen.

So reitet McCord nach Escondido, wo es einen Arzt geben soll. Escondido ist eine Art Refugium für Ausgestoßene und Verfemte, wo anstelle des Gesetzes Kraut (Mario Brega) und seine Bande das Sagen haben. Die verfallende Ortschaft wird von den Deputies des Marshals von Tuscosa, Roy W. Colby (Arthur Kennedy), belagert. Als einige Bewohner Escondidos versuchen, unter weißer Flagge einen Wagen voller Lebensmittel in die Stadt zu bringen, werden sie von den Deputies kurzerhand massakriert. McCord nimmt blutige Rache an den Gesetzeshütern und bringt den Wagen selbst in die Stadt.

Den Arzt findet er allerdings am Galgen baumelnd vor – aufgeknüpft von Kraut wegen angeblichen Falschspiels. McCord quartiert sich im Haus von Laurinda (Nicoletta Machiavelli) ein. Kraut ist McCords Anwesenheit ein Dorn im Auge. Er sieht in ihm eine Gefahr für seine Herrschaft über Escondido. So dauert es nicht lange, bis McCord einen von Krauts Männern, El Bailarín (José Manuel Martín), in Notwehr töten muss.

Lem Carter (Robert Ryan), der Gouverneur von New Mexico, verkündet unterdessen eine Amnesie für alle steckbrieflich gesuchten Outlaws. Wer sich beim Marshal meldet und seine Waffe abgibt, soll 50 Dollar und die Chance auf einen Neuanfang erhalten. McCord begibt sich im Schutz der Nacht nach Tuscosa zu Colby, merkt aber schnell, dass der Marshal nach wie vor entschlossen ist, die Bewohner*innen von Escondido auszurotten. McCord flieht, wird von einer Posse verfolgt und erhält einen Schuss ins Bein. Wieder in Escondido, versteckt er sich in Laurindas Haus, die seine Wunde verbindet.

Um Colby auf die Finger zu sehen, begibt sich Gouverneur Carter persönlich nach Tuscosa. Dort bemerkt er, dass der Marshal weiterhin Jagd auf die Gesetzlosen macht und dabei mit dem Einverständnis der wohlhabenden Bürger rechnen kann. Dennoch befiehlt er Colby, die Blockade von Escondido aufzuheben und eine Lieferung Lebensmittel in die Stadt zu schicken.

Kraut und seine Spießgesellen spüren McCord in Laurindas Haus auf. Sie ermorden Laurinda mit einem Schuss in den Rücken, verprügeln McCord und hängen ihn an den Armen auf. Anschließend trinken sie sich besinnungslos. Cheap Charlie (Renato Romano), der Händler, der in Carters Auftrag die Lebensmittel nach Escondido gebracht hat, nutzt die Gelegenheit, McCord aus der Stadt zu schmuggeln.

In einer abgelegenen Hütte trifft sich McCord mit dem Gouverneur und dem Marshal. Carter sichert ihm die versprochene Amnestie zu und lässt für den schwer Verletzten einen Arzt (Enzo Fiermonte) kommen. Der stellt fest, dass McCords Krämpfe nicht epileptisch sind, sondern von einer alten Schussverletzung herrühren und sich mit einer Operation beseitigen lassen.

Kraut und seine Banditen umzingeln die Hütte und setzen das Dach in Brand. Der Marshal und der Arzt werden getötet, bevor der geschwächte McCord die Widersacher mit einer Winchester erledigen kann. McCord reitet mit Carter zurück nach Tuscosa, wo er seine Waffen niederlegt und dafür 50 Dollar und den Amnestiebrief erhält. Auf dem Weg aus der Stadt wird McCord hinterrücks von Kopfgeldjägern erschossen. Den schützenden Brief lesen die Mörder erst, als McCord schon tot ist. Sie stehlen die 50 Dollar und lassen den Leichnam einfach liegen.

Mit Robert Ryan, Arthur Kennedy und Alex Cord bietet Un minuto per pregare gleich drei US-Stars auf. Das ist kein Wunder, denn bei der Produktion des Films war amerikanisches Studio-Geld im Spiel. Dementsprechend wurden bekannte Gesichter für die US-Kinoverwertung gebraucht. Als Regisseur soll zunächst Sergio Corbucci eingeplant gewesen sein, aber der zog sich wegen kreativer Differenzen wieder zurück und drehte stattdessen Il grande silenzio.

Tatsächlich herrscht in Un minuto per pregare eine ähnliche Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit wie in Corbuccis Meisterwerk. Die Outlaws des Films (mit Ausnahme von Kraut und seiner Bande) sind keine furchteinflößenden Banditen, sondern Ausgestoßene der Gesellschaft, die von Kopfgeldjägern ebenso wie von Colbys Deputies erbarmungslos gejagt werden. Und so wie Jean-Louis Trintignant in Il grande silenzio spielt Alex Cord einen todgeweihten Helden. Die gemeinsame Entstehungsgeschichte beider Filme zeigt sich auch darin, dass sie jeweils in einem ziemlichen sucker punch enden, wie sie dem Publikum selten zugemutet werden.

Mit Franco Giraldi, dem ehemaligen Assistenten Corbuccis, auf dem Regiestuhl ist es nur allzu naheliegend, Un minuto per pregare neben Il grande silenzio links liegen zu lasen. Das wäre aber nicht angebracht. Tatsächlich hat Giraldi einen durchaus eigenständigen Film geschaffen, der sich atmosphärisch auch von seinen früheren, komödiantisch angelegten Western abhebt.

Ungewöhnlich stark vertreten ist in Un minuto per pregare die katholisch-mediterrane Ikonographie, wie sie im Italo-Western immer wieder zum Vorschein kommt. McCord ist zu Beginn des Films nicht nur als um Heilung bittender Pilger auf dem Weg zu einer Kirche, mit seinem langen braunen Mantel sieht er auch selbst ein wenig wie ein Mönch aus. In Escondido lebt ein Teil der Bewohner*innen nicht in Häusern, sondern wie mittelalterliche Einsiedler (oder wie Aussätzige in einem Bibelfilm) in Höhlen. Durch diese morbide Welt wandert McCord und wird auf Schritt und Tritt vom Tod verfolgt.

Mit der einsamen Ausnahme des Gouverneurs sterben alle, die McCord verbunden sind oder ihm helfen, eines grausamen Todes. Pater Santana wird von Kopfgeldjägern umgebracht, die an McCord herankommen wollen. Sein Freund Duskin wird später im Film ebenfalls von Kopfgeldjägern zur Strecke gebracht. Laurinda, Cheap Charlie und der Arzt werden von Kraut & Co. auf teils besonders grausame Art ermordet, wobei die Kamera rücksichtslos drauf hält.

Der Italo-Western hat den Mythos des coolen Kopfgeldjägers hervorgebracht, personifiziert in Manco und Mortimer aus Für ein paar Dollar mehr. Mit Giraldis Film (und Corbuccis) wird der Mythos wieder demontiert, indem das Geschäft mit dem Kopfgeld als Mord mit Rückendeckung durch die Bourgeoisie dargestellt wird. Den amerikanischen Finanziers war so viel Genre-Radikalität zu viel. Sie bestanden darauf, dass für die USA eine eigene Schnittfassung erstellt wurde, mit einem alternativen Ende, das McCord lebendig davonkommen lässt.

Ein ganz großer Wurf ist Franco Giraldis letzter Western nicht geworden, aber ein sehr sehenswerter Film. Dazu trägt insbesondere Carlo Rustichellis ungewöhnlicher Score bei, der, inspiriert von Gustav Mahler, die düstere Atmosphäre des Films noch unterstreicht. Die Hauptrolle ist für Alex Cord (der kein Franco Nero ist) etwas zu groß geraten, aber er gibt sich redlich Mühe. Mario Brega hat man leider keinen Gefallen getan, als man ihm für seine Rolle die Haare rotblond färbte. Robert Ryan ist perfekt in seiner Rolle als zupackender Gouverneur.

18.3.24

Winnetou und sein Freund Old Firehand (1966)

Regie: Alfred Vohrer · Drehbuch: David De Reszke, Harald G. Petersson, C. B. Taylor · Musik: Peter Thomas · Kamera: Karl Löb · Schnitt: Jutta Hering · Produktion: Rialto Film.

Old Firehand ist eine der finstersten und kaputtesten Figuren, die Karl May je erdacht hat. Seinen ersten Auftritt hat er in der Erzählung »Old Firehand«, die 1875 im Deutschen Familienblatt erschien. Darin ist Firehand in schon fortgeschrittenem Alter Anführer einer Gesellschaft von Trappern, die ihr Lager in einem unzugänglichen Bergtal mitten im Gebiet der Dakota haben. Zu den Trappern gehören (ebenfalls mit ihrem ersten Auftritt) auch Sam Hawkens und Dick Stone – der Dritte im Bunde, Will Parker, wird erwähnt, ist aber noch nicht zur eigenständigen Figur ausgebaut. Auch haben Sam & Co. noch nicht die sympathisch skurrilen Züge, die ihnen später in den Jugendromanen eigen sind. In »Old Firehand« wird die ganze Trappertruppe vielmehr als blutrünstig und sadistisch beschrieben. Ihre liebste Beschäftigung ist das Skalpieren von Indigenen, das auf eine Weise geschildert wird, die sich nicht wesentlich von der Jagd auf Tiere unterscheidet.

Anführer Firehand wird in besonderem Maße von Blutdurst und Hass auf Indigene getrieben. In der Tat wird im Laufe der Erzählung deutlich, dass er zwar sonst nicht mehr viel zu Stande bringt, aber immer dann, wenn es ums Töten geht, ganz in seinem Element ist. In ihrem Gewaltrausch vernachlässigen die Trapper auch ihre eigene Sicherheit, und so ist es nicht erstaunlich, dass am Ende die meisten von ihnen tot sind.

Der Ich-Erzähler, der hier noch nicht Old Shatterhand ist, liebt Firehands Tochter Ellen und kommt schließlich dem Familiengeheimnis des alten Mannes auf die Spur: Ellens Mutter, Ribanna, war selbst eine Indigene. Sie wurde von dem weißen Jäger Tim Finnetey aus Eifersucht ermordet. In einer reichlich unlogischen Wendung wurde Firehand darauf zum blutrünstigen Indianerhasser. Finnetey wiederum trat später einem Dakota-Stamm bei und wurde dessen Häuptling.

1879 arbeitete May diese Erzählung zu Im fernen Westen um, seiner ersten Buchveröffentlichung. Weil Im fernen Westen für den Jugendbuchmarkt gedacht war, entschärfte May in der Bearbeitung die Gewalt leicht und strich die Liebesgeschichte zwischen Ellen und dem Ich-Erzähler. Aus Ellen wurde ein Junge namens Harry. Allerdings vergaß May, einige der im flirtenden Ton gehaltenen Begegnungen zwischen Ellen und dem Erzähler ausreichend anzupassen, weshalb die neue Fassung mit einigen unbeabsichtigten gay vibes daherkommt.

1893 schließlich nahm May die Erzählung in Winnetou II auf, wodurch der Ich-Erzähler mit Old Shatterhand identifiziert wurde. Als Textgrundlage verwendete May nicht »Old Firehand«, sondern Im fernen Westen. Shatterhand sollte nach seiner Begegnung mit Nscho-tschi in Winnetou I keine weiteren love interests mehr haben, also durfte Ellen nicht vorkommen. Durch diese Entscheidung wurden die gay vibes des ungenügend bearbeiteten Textes kanonisch. Von der düsteren, gewalttätigen Atmosphäre der Erzählung von 1875 ist allerdings noch so viel übrig, dass der Text sich von der sonst so erbaulichen Stimmung von Mays Hauptwerk, den Gesammelten Reiseerzählungen, merkwürdig abhebt.¹

Von all dem ist in dem Film von 1966 kaum etwas zu merken. Beibehalten wurde nur, dass Old Firehand (Rod Cameron) nicht mehr jung und Anführer einer Gruppe von Trappern ist. Davon abgesehen beruht die Filmhandlung nicht auf dem Werk von Karl May, sondern auf einem Roman namens Thunder at the Border, der für den Film adaptiert wurde.

Heute ist Winnetou und sein Freund Old Firehand wahrscheinlich die obskurste der May-Verfilmungen aus den sechziger Jahren. Das liegt daran, dass der Film im Unterschied zu seinen Vorgängern beim Publikum durchfiel. Waren die Verfilmungen von Anfang an ausgesprochen frei mit den Vorlagen umgegangen – diesmal ging es anscheinend einen Schritt zu weit. Die Filmkritik schloss daraus, dass der Film sich zu sehr an die zeitgleich so erfolgreichen Italo-Western angebiedert habe, deren Geist mit dem von Karl May nicht zu vereinen sei.

Da den beiden Produktionsgesellschaften hinter den May-Verfilmungen, Horst Wendlandts Rialto Film und Artur Brauners CCC, der ›Geist‹ von Karl May auch vorher herzlich egal gewesen war, halte ich das für eine ungenügende Erklärung. Es stimmt zwar, dass Winnetou und sein Freund Old Firehand gegenüber den vorherigen May-Filmen der Rialto so etwas wie einen Neuansatz darstellt. Mit Firehand wird eine neue Figur mit einem neuen Darsteller eingeführt. Neu ist auch die Musik von Peter Thomas. Und Winnetou legt die Dialogregie einige Bemerkungen in den Mund, die entschieden snarky sind. Nur – mit Italo-Western hat das alles eher wenig zu tun.

Ein vereinigendes Merkmal der Italo-Western ist, dass ihre Protagonist*innen (mit nur wenigen Ausnahmen) jung sind. Das bildet einen starken Kontrast zu zeitgleich entstandenen Hollywood-Western, deren Hauptdarsteller mittlerweile oft über fünfzig oder noch älter waren. In der Tat nutzten einige klassische US-Filme, wie El Dorado (1966), The Professionals (1966) und True Grit (1968) diese Tatsache aus, um das Altern selbst zu thematisieren.² Im Italo-Western traten dagegen ältere Charaktere (allen voran die von Lee Van Cleef gespielten) tendenziell als Antagonisten auf und werden von jugendlichen Helden erschossen.

Von dieser Jugendlichkeit ist in Old Firehand nicht viel zu merken. Rod Cameron spielt die Titelfigur als alten, erfahrenen Jäger, der gegenüber jüngeren Westmännern als Mentor fungiert  – nicht anders als John Wayne in den Filmen von Howard Hawks’ Gefängnis-Trilogie.

Zur Handlung: Winnetou und Nscho-tschi (Marie Versini) werden von den Banditen Silers’ (Harald Leipnitz) überfallen. Old Firehand kommt ihnen mit seinen Trappern zu Hilfe und wehrt die Banditen ab. Gemeinsam reiten sie ins mexikanische Städtchen Miramonte, um den Überfall anzuzeigen. Dort hat Mendoza (Rik Battaglia), Sergeant der Federales, Billy Bob (Walter Wilz), den Bruder des Bandenchefs, festgesetzt. Silers will seinen Bruder befreien und Miramonte dem Erdboden gleich machen. Winnetou, Old Firehand und die anderen erklären sich bereit, gemeinsam mit Mendoza die Verteidigung des Städtchens gegen die Banditen zu organisieren.

Man sieht: Hier werden einfach die Storylines von Rio Bravo (es gilt den Versuch, einen gefangenen Banditen zu befreien, abzuwehren) und The Magnificent Seven (es gilt ein mexikanisches Dorf gegen angreifende Banditen zu verteidigen) übernommen, miteinander kombiniert und damit irgendwie ziemlich beliebig gemacht. Keine Entwicklung in Richtung Italo-Western also, sondern eher freizügige Bedienung bei großen Vorbildern. »Steal from the best« ist an sich eine nützliche Maxime, die in Winnetou und sein Freund Old Firehand aber vergeblich angewendet wurde. Es fängt schon damit an, wie der Plot einsetzt: Winnetou und Nscho-tschi werden überfallen und reiten in ein mexikanisches Kaff, um Anzeige zu erstatten. Wer zum Geier hat sich das ausgedacht? Auch hat Nscho-tschi überhaupt keine Funktion für die Handlung. Sie steht eigentlich nur vor der Kamera herum. Der Verdacht liegt nahe, dass sie für diesen Film nur deshalb gecastet wurde, weil Marie Versini ein Publikumsmagnet war.

Wie gesagt, der Versuch, ein paar Dinge anders zu machen, ist schon vorhanden. Von den pathosgeladenen Dialogzeilen der ersten May-Verfilmungen, bei denen die Darsteller*innen sich oft das Lachen verkneifen mussten, zu den vorsichtigen Übungen in Sarkasmus im vorliegenden Film ist es schon ein Stück Weg. Anders ist auch, dass Rik Battaglia endlich mal nicht den schnurrbartzwirbelnden Schurken geben musste. Der war von diesem Typecasting bekanntlich ganz schön genervt. Gut für Rik, keine Frage. Aber viel mehr lässt sich zugunsten dieses Films leider nicht sagen.

¹ Ein Old Firehand tritt bekanntlich auch im Jugendroman Der Schatz im Silbersee (1890/91) auf. Der unterscheidet sich aber so stark von der Titelfigur der 1875er Erzählung und ihrer Bearbeitungen, dass er im Grunde eine andere Figur darstellt.

² Der Normalfall war freilich eher der, dass die stagnierende Pferdeopern-Industrie Hollywoods mit den Altstars einfach weiter Filme drehte, so lange sie sich einigermaßen auf dem Pferd halten konnten – egal wie seltsam es wirkte, wenn sie dabei von lauter 30 Jahre jüngeren Darsteller*innen umgeben waren.

11.3.24

Custer of the West (1967)

Deutscher Titel: Ein Tag zum Kämpfen · Regie: Robert Siodmak · Drehbuch: Bernard Gordon, Julian Zimet · Musik: Bernardo Segall · Kamera: Cecilio Paniagua · Schnitt: Peter Parasheles, Maurice Rootes · Produktion: Cinerama.

Custer of the West ist ein Beispiel für einen Spätwestern, der etwas Neues sagen will – dass das Vorgehen gegen die amerikanischen Indigenen nach dem Bürgerkrieg fundamental ungerecht war. Zugleich will er aber um keinen Preis die heroische Aura der Figur beschädigen, die für eben dieses Vorgehen maßgeblich verantwortlich war. Es ist ein so widersprüchlicher Versuch, dass er in sich zusammenfallen muss und dies mit einiger Zwangsläufigkeit auch tut.

Der Grund für das Schlamassel ist vermutlich darin zu sehen, dass Custer of the West ein typischer Studiofilm ist, bei dem jede*r ein eigenes Süppchen kochte. Ursprünglich plante 20th Century Fox einen Film über General Custer, bei dem Fred Zinnemann Regie führen sollte. Aus Kostengründen wurde das Projekt aufgegeben, worauf mit Cinerama ein anderes Studio die Gelegenheit beim Schopf packte und auf die rettende Idee kam: Kosten ließen sich bei Western bekanntlich einsparen, indem man den Drehort einfach nach Spanien verlegte.

Zunächst versuchte Cinerama, Akira Kurosawa für den Regiestuhl zu gewinnen. Und wer weiß, was das für einen Film ergeben hätte? Aber es wurde nichts daraus, und das Studio verpflichtete den Veteran Robert Siodmak, der zuvor einige Karl-May-Filme gedreht hatte. Siodmak zeigte allerdings wenig Lust, sich bei dem Projekt wirklich zu engagieren. Bei vielen Szenen war es Hauptdarsteller Robert Shaw, der de facto Regie führte. Shaw scheint es auch gewesen zu sein, der auf Biegen und Brechen versuchte, Custer zu einer Figur mit Licht- und Schattenseiten zu machen, die am Ende Fairness und Verständnis für ihre Gegner*innen zeigt.

Bernard Gordon und Julian Zimet, die beiden Drehbuchautoren, hatten vom Studio die Weisung erhalten, Custer als tadellosen Helden zu zeichnen. Shaw hielt sich allerdings nicht daran und improvisierte die Rolle frei. In der ersten Hälfte des Films stellt er Custer als gnadenlosen Leuteschinder dar, der sich selbst und seinen Untergebenen gegenüber nichts als Härte zeigt. Man fragt sich unwillkürlich, ob Custer hier eine Art Antiheld sein soll, denn es ist kaum möglich, Sympathie für ihn zu empfinden.¹

In der zweiten Filmhälfte wandelt sich das Bild plötzlich. Custer reist nach Washington, um vor dem Kongress zu erklären, es gebe kein »Indianerproblem«, sondern nur ein »Weißenproblem«. Die Ureinwohner*innen kämpften schließlich nur ehrenhaft um ihr Land. Ab da wird Custer als ein Mensch gezeigt, dem seine eigene Welt fremd geworden ist. Als ihm eine neue militärische Erfindung – ein gepanzerter Schienenwagen – demonstriert wird, wendet er sich schaudernd ab: Wo bleibe da der offene, ritterliche Kampf Mann gegen Mann? Das politische Establishment von Washington schmäht ihn fortan, so will es zumindest dieser Film.

Nun entspricht der echte Custer keiner von Shaws beiden Interpretationen. Der harte Hund, als der er zu Beginn dargestellt wird, war er gewiss nicht. Der historische Custer war ein eitler Pfau mit wallender Lockenpracht und großer Vorliebe für maßgeschneiderte Phantasieuniformen. Er achtete darauf, bei seinen Feldzügen von Journalisten begleitet zu werden und ließ sich liebend gern fotografieren. Er war ein Medienprofi, der sein Image als schneidiger Held der frontier erfolgreich selbst geschaffen hatte. Die zeitgenössische Öffentlichkeit verehrte ihn.

Kann man den Custer der ersten Filmhälfte noch als verfehltes Hollywood-Porträt abtun, wird es in der zweiten Filmhälfte richtiggehend verlogen. Als Kommandeur des 7. Kavallerieregiments war der historische Custer der Division of the Missouri unterstellt. Die Aufgabe dieses Truppenverbands war es, die indigenen Stämme der Great Plains in Reservate zu treiben, um so die Region für weiße Besiedlung zu erschließen. Natürlich waren nicht alle Ureinwohner*innen bereit, dies kampflos hinzunehmen. Insbesondere Dakota und Cheyenne leisteten erbitterten Widerstand.

Custers unmittelbarer Vorgesetzter, der Divisionskommandeur General Sheridan, entwickelte daraufhin eine Strategie der totalen Kriegsführung. Die Truppen der Missouri Division sollten gezielt indigene Dörfer angreifen und dabei nicht zwischen Männern, Frauen und Kindern unterscheiden. Geiselnahmen und auch die Ausrottung ganzer Stämme und Völker erklärte Sheridan für legitim. Custer für seinen Teil setzte diese Vorgaben eifrig um.

Die Lage spitzte sich zu, als eine von Custer aufgestellte Expedition in den Black Hills (in den heutigen Bundesstaaten South Dakota und Wyoming) Gold fand. Das Gebiet rund um die Black Hills war in den  Verträgen von Fort Laramie (1851 und 1868) den Dakota zugesprochen worden. Schon die Expedition an sich verletzte die Vertragsbestimmungen, denn das Gebiet sollte von Weißen nicht betreten werden. Doch jetzt, nach dem Goldfund, waren die Verträge das Papier nicht mehr wert, auf dem sie geschrieben waren. Innerhalb kurzer Zeit strömten tausende von weißen Glückssucher*innen in die Black Hills.

Die Dakota wehrten sich, und so kam es am 25. Juni 1876 am Little Bighorn River zur Konfrontation zwischen Custers Kavallerie und einer Koalition aus Dakota und Cheyenne. Custers Regiment rückte in drei getrennten Abteilungen vor, und die von Custer persönlich geführte Abteilung traf zuerst auf die Hauptmacht der Cheyenne und Dakota. Die beiden anderen Bataillone lagen weit zurück oder waren anderswo in Gefechte verwickelt. Custer entschloss sich dennoch, sofort anzugreifen, und wurde mit seiner Abteilung völlig aufgerieben.

Warum Custer angriff, ohne auf Verstärkung zu warten, ist bis heute nicht ganz geklärt. Der Film findet eine eindeutige Antwort: Custer, von Washington aufgrund seiner Sympathie für den Feind geächtet, hat nur noch den Wunsch, im Kampf mit eben diesem Feind den Tod zu finden. Er geht in die Schlacht, um zu sterben. Der wirkliche Custer dürfte einer weitaus schnöderen Motivation gefolgt sein: Er wollte vermutlich den Ruhm für sich allein einheimsen, den er anderenfalls mit seinen Offizieren, die die anderen Bataillone befehligten, hätte teilen müssen.

Und der Ruhm sollte Custer gehören, wenn auch nicht ganz in der Weise, wie er sich es wohl vorgestellt hatte. Im Offizierskorps dürfte man sich durchaus eigene Gedanken zu Custers desaströsem Vorgehen gemacht haben. Aber diese offen auszusprechen, hätte möglicherweise eine empfindliche Kürzung des Militärbudgets durch den Kongress bedeutet. So verlegte sich die Armee aus PR-Gründen darauf, das Heldentum und den Wagemut Custers herauszustreichen. Daneben arbeitete Custers Witwe Libbie (im Film von Mary Ure gespielt) unermüdlich daran, das Heldenimage ihres Mannes auch nach seinem Tod aufrecht zu erhalten. Sie schrieb drei Bücher über ihren Gatten und hielt zahllose Reden über ihn, bis sie 1933 im Alter von 90 Jahren starb.

Im Jahr 1967 war das Kinopublikum allerdings nicht mehr so naiv, diese Glorifizierung einfach hinzunehmen. Custer of the West entwickelte sich zum totalen Flop. Von den Produktionskosten in Höhe von vier Millionen Dollar spielte er lediglich einen Bruchteil wieder ein. Selten hat ein Film das so verdient wie dieser.

¹ Sympathie für die Filmfigur, meine ich hier natürlich. Der historische Custer ist ohnehin verloren.

4.3.24

Shalako (1968)

Deutscher Titel: Man nennt mich Shalako · Regie: Edward Dmytryk · Drehbuch: J. J. Griffith, Hal Hopper · Musik: Robert Farnon · Kamera: Ted Moore · Schnitt: Bill Blunden · Produktion: Kingston Film Productions, Palomar Pictures.

In New Mexico ist eine High-Society-Jagdgesellschaft unterwegs. Sie besteht aus Baron Friedrich von Hallstatt (Peter van Eyck), Gräfin Irina Lazaar (Brigitte Bardot), Sir Charles Daggett (Jack Hawkins) und seiner Frau Julia Daggett (Honor Blackman) sowie dem US-Senator Henry Clarke (Alexander Knox) und seiner hispanischen Frau Elena Clarke (Valerie French). Man schlürft Champagner und knallt Pumas ab. Für das leibliche Wohl sorgen Dienstboten. Ein ganzer Trupp Scouts ist dafür zuständig, den Damen und Herren das erschöpfte Wild direkt vor die Flinte zu treiben.

Innerhalb der blaublütigen Gesellschaft geht es hoch her. Sir Charles ist hoffnungslos verschuldet. Er kann nicht nach Europa zurückkehren, da er sich dort seinen Schuldnern stellen müsste. Also bleibt er im Ausland und lässt sich seinen luxuriösen Lebenswandel vom Baron Hallstatt finanzieren. Als Gegenleistung will er Hallstatt mit Irina verkuppeln. Lady Daggett hat unterdessen ein nicht standesgemäßes Auge auf Bosky Fulton (Stephen Boyd), den Chef der Scouts, geworfen. Senator Clarke kippt gern einen Brandy zu viel und faselt dann davon, wie er 1860 beinahe Vizepräsident der Vereinigten Staaten geworden wäre. Seiner Frau verbietet er, mit den Scouts in ihrer spanischen Muttersprache zu sprechen. 

Fulton, der Anführer der Scouts, führt die Gesellschaft direkt in Apache-Gebiet. Es kommt zu einem Zwischenfall, bei dem ein Scout und mehrere Apache getötet werden. Nur das zufällige Eintreffen Shalakos (Sean Connery), eines erfahrenen Westmannes, verhindert Schlimmeres. Der Häuptling (Rodd Redwing) fordert die ungebetenen Gäste auf, sofort zu verschwinden. Hallstatt erwidert hochnäsig, man lasse sich von Wilden keine Befehle erteilen. Shalako bietet der Gesellschaft an, sie sicher aus dem Apache-Gebiet herauszuführen, aber Hallstatt lehnt ab. Er sieht Shalako als ungehobelten Proll an, mit dem sich abzugeben unter seiner Würde ist.

Natürlich kommt es, wie es kommen muss: Apache-Krieger unter der Führung des Häuptlingssohnes Chato (Woody Strode) greifen das Camp der Jagdgesellschaft an und massakrieren die Scouts und Dienstboten. Shalako gelingt es, die Krieger für einige Stunden vom Camp abzulenken. Diese Verschnaufpause nutzt Fulton, um sich mit Lady Daggett und dem Großteil der überlebenden Scouts aus dem Staub zu machen. Nur Buffalo (Red Barry) und Rojas (Julián Mateos), die Shalako von früher kennen, bleiben zurück. Hallstatt sieht den Ernst der Lage ein und stimmt Shalakos Plan zu, die kläglichen Reste der Gesellschaft auf ein wasserreiches Plateau zu führen, das besseren Schutz vor Angriffen bietet.

Shalako ist der erste von drei Filmen des britischen Produzenten Euan Lloyd, die auf Romanen von Louis L’Amour basieren.¹ Lloyd wollte ursprünglich vor Ort im Südwesten der USA (nach anderen Angaben in Mexiko) drehen, befand aber Land und Leute für nicht ›wild‹ genug. Deshalb wich er nach Spanien aus und entschied sich für die Wüste von Tabernas als Drehort. Dort entstand zur gleichen Zeit ein Kriegsfilm, und beide Filmteams mussten während der Dreharbeiten darauf achten, sich nicht in die Quere zu kommen. Die Tatsache, dass es in Almería keine Apache gibt, bereitete Lloyd keine schlaflosen Nächte. Er heuerte spanische Roma an, die die indigenen Krieger darstellen. Die Rolle des Häuptlings besetzte er mit Rodd Redwing, einem bekannten Pretendian aus Hollywood.² Illusion schlägt Realität, das scheint Lloyds Maxime bei der Produktion von Shalako gewesen zu sein.

Für die Hauptrollen des Shalako und der Irina hatte Lloyd zunächst Henry Fonda und Senta Berger im Sinn, die aber nicht zur Verfügung standen. Louis L’Amour schlug als Alternative Sean Connery vor. Der hatte Zeit, da er keine Lust mehr hatte, James Bond zu spielen, und deshalb die Rolle in On Her Majesty’s Secret Service abgelehnt hatte. Von der Idee, in einem Western aufzutreten, war er dagegen sehr angetan. Mit Connery und (in der weiblichen Hauptrolle) Brigitte Bardot wurde Shalako dezidiert als europäischer Film wahrgenommen. In der Tat löste er eine Welle von britischen Westernproduktionen aus, die im Vergleich zu ihren italienischen, deutschen, spanischen und auch französischen Pendants aber recht bescheiden blieb.

Überraschenderweise wirkt Connery mit Winchester, Hut und ledernem Jagdrock völlig natürlich, als hätte er nur eine Rolle wie diese darauf gewartet. Auch holt Bond-Kameramann Ted Moore einiges aus der Landschaft von Almería heraus, und die Action-Szenen sind gekonnt inszeniert. Was den Film zu einer Enttäuschung werden lässt, ist das Drehbuch. Als Hauptrollen sind Shalako und Irina viel zu konventionell, um interessant zu sein: Er ist ein ziemlich gewöhnlicher Wildwest-Macho, und sie ist die Debütantin aus Europa, die ihm so hoffnungslos verfällt, als hätte sie ihr bisheriges Leben lang nur auf ihn gewartet.

Vielversprechender sind die Konflikte innerhalb der aristokratischen Jagdgesellschaft. Deren kleinliche Intrigen, Standesdünkel und Heuchelei werden zu Beginn so sehr herausgestellt, dass ich es kaum erwarten konnte, Woody Strode dabei zuzusehen, wie er sie dezimiert. Peter van Eyck als Baron Hallstatt, der sich und andere aus schierem Hochmut ins Verderben führt, hätte einen wunderbar hassenswerten Antagonisten abgegeben. Was hätte ein italienischer Regisseur wie Corbucci aus der Rivalität zwischen ihm und Shalako machen können! Stattdessen mutiert Hallstatt nach 70 Minuten plötzlich zum Retter in der Not, indem er mit seinen alpinistischen Fähigkeiten der Gruppe dazu verhilft, das schützende Plateau schneller zu erreichen. Auch die Tatsache, dass Irina sich von ihm ab- und Shalako zuwendet, scheint ihm zunehmend gleichgültig zu sein. Die anderen Spannungen in der Jagdgesellschaft lösen sich ebenso ins Beliebige auf: Mrs. Clarke darf dann doch noch mit Rojas, dem mexikanischen Scout, Spanisch sprechen. Bleibt das Eifersuchtsdrama zwischen Fulton und den Daggetts, das dadurch gelöst wird, dass Lady Daggett von den Apache getötet wird und Sir Charles und Fulton sich gegenseitig erschießen.

Und es bleibt Chato als primärer Antagonist. Der betont immer wieder, dass er die lästigen weißen Eindringlinge allesamt ins Jenseits befördern will. Recht hat er ja, und fast bis zum Schluss des Films geht er auch tatkräftig ans Werk. Aber nur fast, denn am Ende fordert er dann völlig unvermittelt Shalako zum Zweikampf heraus und erklärt, dass die belagerten Weißen abziehen dürfen, wenn Shalako den Zweikampf gewinnt. Eine ziemlich abrupte Wendung, nachdem der Film zuvor so viel Mühe darauf verwandt hatte, Chato zum erbarmungslosen Verfolger aufzubauen.

Fragt sich: Warum das Ganze? Warum beginnt Shalako mit einer Exposition, die Hallstatt und die anderen upper-class toffs als durch und durch unsympathisch darstellt, nur um diese Prämisse dann einfach aufzugeben? Und eigentlich ist ja auch klar, dass die Jagdgesellschaft im Gebiet der Apache nichts zu suchen hat. Es ist allein ihre Anwesenheit, die Chatos Reaktion herausfordert.

Ich vermute, dass der Film schlicht und einfach vor der Entwicklung zurückschreckt, die der europäische Western Ende der sechziger Jahre genommen hatte. Seit Django (1966) wurde das klassische Wildwest-Schurken-Personal (Banditen, Viehdiebe, Comanche) insbesondere in italienischen und französischen Produktionen zunehmend in Nebenrollen gedrängt. Zu primären Antagonisten wurden stattdessen rassistische Großgrundbesitzer, Ex-Offiziere der konföderierten Armee und korrupte Geschäftsleute, Kirchenmänner oder Politiker – Figuren also, die wie die Jagdgesellschaft in Shalako aus der Oberschicht stammen. Aber Shalako will die Konsequenz nicht ziehen, dass eigentlich Hallstatt der Antagonist dieses Films sein müsste. Stattdessen präsentiert er mit Fulton (dem verräterischen Scout) und Chato (dem feindseligen Apache) zwei ›klassische‹ Schurkenfiguren, weiß mit ihnen letztlich aber auch nicht viel anzufangen.

So ist Shalako vor allem ein inkonsequenter Film, was sich auch durch das Bardot-Connery-Staraufgebot nicht überspielen lässt.

¹ Die beiden anderen sind Catlow (1971) und The Man Called Noon (1973).

² Pretendians sind nicht-indigene Schauspieler*innen, die sich eine indigene Identität aneignen, um sich auf Filmrollen als Native Americans spezialisieren zu können. Das bekannteste Beispiel eines Pretendians der klassischen Hollywood-Ära ist Iron Eyes Cody (der eigentlich Italoamerikaner war), heute dürfte es Kelsey Asbille sein. Pretendians können auch als indigene Aktivisten auftreten (Grey Owl, Forrest Carter).

26.2.24

Die Flußpiraten vom Mississippi (1963)

Regie: Jürgen Roland · Drehbuch: Werner P. Zibaso · Musik: Willy Mattes · Kamera: Rolf Kästel · Schnitt: Herbert Taschner · Produktion: Rapid-Film.

Friedrich Gerstäckers Romane Die Regulatoren in Arkansas (1846) und Die Flußpiraten des Mississippi (1847) gehören zu den besten frontier-Erzählungen in deutscher Sprache. Das liegt einerseits daran, dass Gerstäcker die Schauplätze aus eigener Anschauung kannte (er schrieb beide Bücher nach einem sechsjährigen Aufenthalt in Nordamerika), andererseits daran, dass sie sich einer allzu schlichten Gut-Böse-Dichotomie entziehen. Tatsächlich wären die Romane mit ihrer großen Anzahl von Charakteren und ineinander verwobenen Handlungssträngen hervorragendes Material für eine mit kreativen Köpfen (und dem passenden Budget) ausgestattete Fernsehserie. Es ist fast zu bedauern, dass Gerstäcker nicht in den USA blieb und so möglicherweise als englischsprachiger Autor zu Bekanntheit gekommen wäre ... dann wäre ein solches Projekt zumindest im Bereich des Möglichen gewesen.

So darf man zwar träumen, die Verfilmung beider Romane durch den Produzenten Wolf C. Hartwig hat aber mit Gerstäckers Qualitäten als Schriftsteller wenig zu tun. Sie hängt allein mit dem Erfolg von Der Schatz im Silbersee (1962) zusammen, der die westdeutsche Filmindustrie auf eine hektische Suche nach mehr (und vorzugsweise urheberrechtsfreiem) Wildwest-Material schickte. Vom Lokalkolorit der Vorlage lässt sie kaum etwas übrig.

Flusspirat*innen, angeführt von Kapitän Kelly (Horst Frank) überfallen auf dem Mississippi ein Floß und ermorden Mary (Sinja Jerin), die Verlobte des jungen Backwoods-Farmers James Lively (Hansjörg Felmy). Als nächstes rauben sie die Bank in Helena, Arkansas aus und schießen dabei den Sheriff (Janez Vrhovec) über den Haufen. James lässt sich zum neuen Sheriff ernennen. Seinen Freund Tom Quincy (Brad Harris) macht er zum Deputy. Gemeinsam wollen sie es mit den Flusspirat*innen aufnehmen.

Die planen unterdessen ihren größten Coup: Sie wollen den Postdampfer Van Buren kapern, die Stadt überfallen und anschließend mit dem Dampfer in den Golf von Mexiko abhauen. Die Cherokee des Häuptlings Schwarzer Adler (Tony Kendall) sollen ihnen dabei helfen. Schwarzer Adler ist eigentlich mit James Lively befreundet, lässt sich aber durch die Lügen der Flusspiraten gegen ihn einnehmen. James, Tom und Schwarzer Adlers Schwester Wichita (Barbara Simon) versuchen, das Komplott zu verhindern.

Aus der komplexen Story von Gerstäckers Roman ist eine simple Geschichte nach dem Vorbild der Karl-May-Verfilmungen geworden: Böse Weiße hetzen Indigene gegen gute Weiße auf, die Helden schreiten im letzten Moment ein und es gibt ein Happy End. Während bei Gerstäcker die Bande der Flusspirat*innen heimliche Kompliz*innen bis in die gute Gesellschaft hinein hat, ist im Film weitgehend klar, wer auf welcher Seite steht. Grautöne gibt es keine, bis auf die bemerkenswerte Ausnahme der Häuptlingsschwester Wichita. Diese Figur, die im Buch ebenso wenig vorkommt wie die anderen Cherokee, sorgt für ein paar Überraschungen in der sonst vorhersehbaren Handlung. Nicht nur, dass sie gegen den Willen ihres Bruders die Pläne der Flusspiraten durchkreuzen will – als ihr verräterischer weißer Liebhaber (Dan Vadis) sie zurückzuhalten versucht, führt sie ihn in einer amüsant-trashigen Szene kurzerhand in einen Sumpf und lässt ihn dort ertrinken.

Von dieser Ausnahme abgesehen, überwiegen in der Verfilmung die Verschlimmbesserungen. Die Handlung wird aus den 1840er Jahren in die Zeit nach dem Bürgerkrieg verlegt. Die Cherokee werden als in Tipis lebende Pferdenomad*innen nach Art der Great-Plains-Stämme dargestellt, was mit ihrer tatsächlichen Kultur wenig zu tun hat. Eher peinlich auch die fiktive Auflösung des Konflikts am Ende: Schwarzer Adler erhält ein Dokument der US-Regierung, das den Cherokee die Unverletzlichkeit ihres Landes garantiert. In Wirklichkeit war es mit dem Versprechen eines »permanent homeland«, das die Regierung den Cherokee 1866 gab, nicht weit her. Ende der 1880er Jahre wurde das Land von Präsident Grover Cleveland zur Besiedelung durch Weiße freigegeben.

Natürlich ist das der verbreiteten Naivität des Euro-Westerns der frühen sechziger Jahre geschuldet. Bei Filmen, die in einem vagen, ahistorischen Wilden Westen irgendwo zwischen den Great Plains, den Rocky Mountains und New Mexico angesiedelt sind, fällt so etwas auch gar nicht weiter auf. Nur ist Gerstäckers Roman im Gegensatz dazu ein zeitgenössisches Werk, dass in den 1840er Jahren in Arkansas am Ufer des Mississippi spielt und in dieser Zeit auch geschrieben und veröffentlicht wurde. Wird der dadurch gesetzte historische Kontext ignoriert, ist die Fallhöhe entsprechend groß.

Das gilt übrigens auch für den Drehort. Nicht anders als die meisten Karl-May-Filme entstand Die Flußpiraten vom Mississippi in Jugoslawien. Für den Mississippi muss der Save im heutigen Slowenien und Kroatien einstehen. Dabei strapaziert es arg die Glaubwürdigkeit, dass dieser gemächlich durch Karstlandschaften plätschernde Fluss der majestätische Old Man River sein soll.

Wolf C. Hartwig, der später als Produzent der Schulmädchen-Report-Flicks zu zweifelhaftem Ruhm kam, schob den Flußpiraten noch zwei Filme nach: 1964 Die Goldsucher von Arkansas (als Verfilmung von Die Regulatoren in Arkansas) und 1965 Die schwarzen Adler von Santa Fe. Letzterer basierte nicht mehr auf dem Werk Gerstäckers, aber Tony Kendall tritt in ihm ein zweites Mal in der Rolle des Schwarzen Adler auf.

19.2.24

Winnetou und das H❌❌❌t Apanatschi (1966)

Regie: Harald Philipp · Drehbuch: Fred Denger · Musik: Martin Böttcher · Kamera: Heinz Hölscher · Schnitt: Jutta Hering · Produktion: Rialto Film.

Als Spätprodukt der Karl-May-Welle der sechziger Jahre wartet Winnetou und das H❌❌❌t Apanatschi (inklusive rassistisches H-Wort im Titel) mit einer geballten Ladung Kitsch auf: Winnetou (Pierre Brice), so stellt dieser Film klar, ist nicht nur ein Kinderfreund, sondern er denkt auch sorgsam an Geburtstage. Zunächst rettet Winnetou den kleinen Happy (Marinko Ćosić) vor einem aggressivem Adler. Dann überreicht er Apanatschi (Uschi Glas) ein besticktes Gewand zu ihrem Einundzwanzigsten.

Happy und seine ältere Schwester Apanatschi sind die Kinder des Ranchers Mac Haller (Walter Barnes) und seiner Frau Mine-yota (Marija Crnobori), einer Apache. Papa Mac hat eine Goldader gefunden, die er Apanatschi zum Geburtstag schenken will, doch die ist der Meinung, dass das Gold lieber in der Erde bleiben soll. Denn Apanatschi ist glücklich mit dem Fallensteller Jeff Brown (Götz George) verlobt ... oder wäre es, gäbe es nicht Jeffs Trapper-Kumpel Pinky (Vladimir Leib) und Sloan (Petar Dobrić), die angesichts von Macs Fund von der Goldgier gepackt werden. Die beiden töten Mac, als er ihnen den Standort der Goldader nicht verraten will. Im nahen Städtchen Rocky Town fallen Pinky und Sloan ihrerseits den Banditen Curly Bill (Ilja Džuvalekovski) und Judge (Miha Baloh) in die Hände. Fortan sind auch sie hinter dem Gold her – und Apanatschi ist nach Macs Tod die einzige, die weiß, wo genau die Goldader sich befindet.

In merkwürdigem Kontrast zum rührseligen Anfang verläuft die Auflösung des Konflikts dann fast ausschließlich über die Action-Schiene. Das lässt den Film sehr uneinheitlich erscheinen. Mich überrascht das nicht. Nach dem Erfolg der ersten Karl-May-Adaptionen zu Beginn der sechziger Jahre ging es irgendwann nur noch darum, Pierre Brice in stets weiteren zusammengeschusterten Filmchen unterzubringen. Gegen Ende des Jahrzehnts war der Markt dann endgültig übersättigt, und die Flut der Spaghetti-Western machte der Karl-May-Filmindustrie den Garaus. Bis es dazu kam, wurden aber noch zwei weitere Winnetou-Filme auf den Markt geschmissen, und das bundesdeutsche Kinopublikum goutierte es bis zuletzt. Der Nachwelt wäre allerdings nichts entgangen, wenn 1966 mit der Sache Schluss gewesen wäre – oder auch schon vorher.