6.12.23

Sfida a Rio Bravo (1964)

Deutscher Titel: Schnelle Colts für Jeannie Lee · Regie: Tulio Demicheli · Drehbuch: Tulio Demicheli, Gene Luotto, Natividad Zaro · Musik: Angelo Francesco Lavagnino · Kamera: Mario Capriotti, Guglielmo Mancori · Schnitt: Roberto Cinquini · Produktion: Flora Film, Llama Films, Société Nouvelle Pathé Cinéma, West Film.

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Silberbaron Zack Williams (Gérard Tichy) will in Arizona ein Monopol errichten. Dazu arbeitet er mit dem Banditen Pancho Bogan (Fernando Sancho) zusammen. Dessen Job ist es, Silbertransporte zu überfallen. Je mehr Unsicherheit Bogan stiftet, desto leichter fällt es Williams, eine Silbermine nach der anderen aufzukaufen. Nur Clementine Hewitt (José Greci) weigert sich noch, Williams ihre Silbermine zu überlassen, wird aber von dessen Pistoleros schwer bedrängt.

Zum Glück ist Clementines Freundin, die Saloonbesitzerin Jeannie Lee (Madeleine Lebeau), mit Wyatt Earp (Guy Madison) bekannt. Der legendäre Revolvermann reist incognito ins Städtchen Rio Bravo,¹ um es mit Williams und seinen Pistoleros aufzunehmen. Unterstützt wird er nicht nur von Jeannie, sondern auch von Leo (Massimo Serato), dem Sheriff des Städtchens. Leo hat zwar meistens einen sitzen, ist dafür aber nicht auf den Kopf gefallen (und außerdem mit Jeannie verlobt).

Sfida a Rio Bravo ist ein Italowestern der Prä-Leone-Ära,² der noch stark im Schatten der Hollywood-Vorbilder steht. Tatsächlich ging Regisseur Demicheli, der sich nach eigener Aussage bis dato mit Western nicht auskannte, an die Sache heran, indem er sich zur Inspiration einige klassische Western ansah. Anhand von Namen und Inhalt seines Films ist unschwer zu erkennen, dass unter den Klassikern, die er sich zu Gemüte führte, My Darling Clementine und Rio Bravo waren.

Demichelis Streifen gehört auch zu den wenigen (meist frühen) Italowestern, deren Held eine historische Persönlichkeit des Old West ist. Allerdings versucht er eher, diese Tatsache herunterzuspielen: Wyatt Earp erklärt gleich zu Beginn der Handlung, dass er nicht erkannt werden möchte, und legt sich deshalb den Namen Laramie zu. Dabei bleibt es auch. Der Earp dieses Films hat kein Bedürfnis, seine Identität zu enthüllen, um seine Feinde zittern zu lassen. Fragt sich, warum der Held nicht einfach von vornherein als ein unbekannter Revolvermann namens Laramie konzipiert wurde?

Möglicherweise war es einfach eine Art Verlegenheitslösung. Man benannte den Helden nach einem legendären Westerner, weil man 1964 in Italien noch zu dem Glauben neigte, dass man das im Genre einfach so macht. Aber zugleich verspürte man offenbar schon das Bedürfnis, wenn auch noch nicht sehr ausgeprägt, mit der Form zu experimentieren. Aus heutiger Sicht ist Sfida a Rio Bravo ein etwas zu lang geratener Film, der am Scheideweg steht und Anschauungsmaterial für den Ablösungsprozess des italienischen Westerns von der US-Pferdeoper liefert. So stehen in Sfida solche Elemente, die direkt den Hollywood-Vorbildern entnommen wurden, neben solchen, die in den Jahren darauf zum typischen Inventar des Spaghetti-Westerns gehören sollten, 1964 aber noch recht neu waren.

Zu ersteren gehören Figuren wie Jeannie, die Saloon-Chefin mit dem goldenen Herzen, und Leo, der Sternträger mit dem Alkoholproblem, wie man ihn aus Rio Bravo und El Dorado kennt. Zu letzteren gehört Fernando Sanchos Rolle, der hier eine frühe Performance seines aus zahlreichen Spaghetti-Flicks bekannten mexikanischen Bandenchefs abliefert. Dabei wird er etwas nuancierter gezeichnet, als das später oft der Fall war, mit einer geradezu tragischen Sterbeszene. Eine sehr italienische Neuerung ist auch, dass der Hauptschurke des Films, Zack Williams, ein aalglatter Geschäftsmann ist.

Ein interessantes Detail ist, dass Jeannie von Madeleine Lebeau dargestellt wird. In Casablanca spielt sie Ricks Ex-Freundin Yvonne und schrieb Filmgeschichte mit der berühmten »Battle of the Anthems«-Szene, in der ihr beim Singen der Marseillaise die Tränen über das Gesicht laufen. Lebeau floh 1940 mit ihrem jüdischen Ehemann Marcel Dalio (der in Casablanca Emil, den Croupier, spielt) vor der heranrückenden Wehrmacht aus Frankreich. Lebeau und Dalio versuchten, nach Chile zu entkommen, aber ihre Visa stellten sich als Fälschungen heraus. Nach einer längeren Irrfahrt auf der Quanza, einem portugiesischen Frachter mit 317 vor den Nazis geflohenen Passagieren an Bord, gelangten sie schließlich in die USA. Lebeaus Erlebnisse wiesen also eine beträchtliche Ähnlichkeit mit denen der Charaktere aus Casablanca aus.

Nach dem Krieg kehrte Lebeau, mittlerweile von Dalio geschieden, nach Frankreich zurück und trat u.a. in Fellinis auf. Sfida a Rio Bravo ist meines Wissens ihr einziger Western. Als sie 2016 starb, war sie das letzte überlebende Mitglied des Casts von Casablanca. Schade, dass nicht sie, die eine weitaus interessantere Schauspielerin als Guy Madison ist, als Protagonistin von Sfida fungiert.

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¹ Ein Beispiel für die wackeligen Kenntnisse der US-Geographie, die so vielen europäischen Western unterliegen: Das wirkliche Rio Bravo liegt nicht in Arizona, sondern in Texas.

² Sfida hatte zwei Monate nach Per un pugno di dollari Premiere, ist aber erkennbar nicht von diesem beeinflusst.

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