10.4.24

Die blutigen Geier von Alaska (1973)

Inhaltshinweise: Sexuelle Gewalt, Tierquälerei.

Alternativtitel: Die Höllenhunde von Alaska / Die Geier vom Shilo River · Regie: Harald Reinl · Drehbuch: Kurt Nachmann · Musik: Bruno Nicolai · Kamera: Heinz Hölscher · Schnitt: Eva Zeyn · Produktion: Lisa Film.

The Call of the Wild (1972) von Ken Annakin machte es möglich: Er löste den letzten großen Trend innerhalb des Euro-Westerns aus. Annakins Film erwies sich in Italien als Kino-Erfolg, und die italienische Filmindustrie tat das, was sie am liebsten tat und kopierte, was das Zeug hielt. Den Anfang machte Lucio Fulci mit Zanna Bianca (1973) und Il ritorno di Zanna Bianca (1974). Diesen Filmen folgten inoffizielle Fortsetzungen sowie weitere Produktionen, die entweder Werke von Jack London verfilmten oder sich als solche Verfilmungen ausgaben.¹ Noch schneller als die Italiener*innen waren in diesem Fall allerdings die Westdeutschen. Schon 1972 wartete Harald Reinl mit Der Schrei der schwarzen Wölfe auf, dem im Jahr darauf Die blutigen Geier von Alaska folgte.

Die Formelhaftigkeit dieser London-Verfilmungen (und Pseudo-London-Verfilmungen) fällt sofort ins Auge. Es ist selbst für Genre-Verhältnisse ungewöhnlich, mit welcher Sturheit an dem stets gleichen Grundrezept festgehalten wird: Es gibt immer ein krankes Kind, einen treuen Hund und einen raubeinigen Beschützer. Der Handlungsort ist Alaska zur Zeit des Goldrauschs. Und meistens spielt Raimund Harmstorf mit. Die zur Schau getragene Kinderfreundlichkeit dieser Filme wird nicht selten dadurch konterkariert, dass sie recht brutale Szenen mit Tierkämpfen enthalten. Ich gestehe es offen – ich bin alles andere als ein Fan dieses Subgenres mit seiner Mischung aus Sentimentalität und gelegentlicher Grausamkeit.

Die blutigen Geier von Alaska basiert nicht direkt auf Jack London, folgt aber getreu der beschriebenen Formel: Der Goldsucher Sanders (Kurt Bülau) hat auf indigenem Land eine Goldader gefunden, die auszubeuten er fest entschlossen ist. Bei einem Unfall in der Grube verletzen sich Sanders und sein Sohn Billy (Ivan Stimac) schwer. Billy verfällt in ein starkes Fieber. Der Jäger Don Rutland (Doug McClure) will den Jungen zu einem Arzt bringen.

Zur gleichen Zeit wird in der Prospektorensiedlung Camp Kino ein Transport vorbereitet, der die gesammelten Goldfunde des Umkreises nach Paradise Creek bringen soll. Sheriff Cotton und Deputy Buffins (Miha Baloh) reiten als Eskorte mit. Rutland trifft auf den Transport, vertraut ihm den kranken Billy an und reitet zurück zu Sanders. Banditen unter Mark Monty (Harald Leipnitz) überfallen den Transport und töten die Begleitmannschaft bis auf Buffins, der mit den Banditen unter einer Decke steckt. Billy, der sich im Fieberwahn nicht an seinen Namen erinnern kann, wird von Monty in das Lager der Banditen verschleppt. 

Nachdem Sanders von Indigenen getötet wurde, die (sehr berechtigte) Einwände gegen seine Goldschürferei auf ihrem Land hatten, begibt Rutland sich nach Camp Kino. Dort amtiert Buffins als neuer Sheriff und sabotiert die Suche nach dem geraubten Gold. Rutland schließt sich zusammen mit Rose Cotton (Kristina Nel), der Tochter des beim Überfall ermordeten Sheriffs, und Ham-a-Ham (Roberto Blanco), einem Boxer mit übermenschlichen Kräften. Gemeinsam mit Buck, dem Hund der Sanders, machen sie sich auf die Suche nach den Banditen und dem verschwundenen Billy. Buffins sperrt Rutland unter falschen Vorwürfen ins Gefängnis.

Monty und sein Spießgeselle Lapporte (Klaus Löwitsch) kommen nach Camp Kino und erklären, unverhofft einen reichhaltigen Goldfund gemacht zu haben. Mit dieser Behauptung wollen sie ihren Überfall auf den Goldtransport verschleiern. Es kommt zu einem allgemeinen Besäufnis im Saloon. Monty versucht, die Saloondame Betty (Angelica Ott) zu vergewaltigen, und ersticht ihren Chef, Captain Brandy (Heinz Reincke), als dieser dazwischengeht. Rutland, der sich aus dem Gefängnis befreien konnte, konfrontiert Monty, Lapporte und Buffins.

Dem Film merkt man in jeder Hinsicht die Agonie an, in der der bundesdeutsche Western à la Reinl sich in den siebziger Jahren wand: Die schwarzen Langhaarperücken sitzen noch schlechter als zehn Jahre zuvor. In einer Szene, die eine Dynamit-Explosion darstellt, sieht man die Drähte des Pyrotechnikers mitten im Bild. Doug McClure ist als Ersatz-Harmstorf alles andere als überzeugend. Roberto Blanco darf ein antirassistisches Statement abgeben, das sofort dadurch konterkariert wird, dass sein Charakter den lächerlichen Namen Ham-a-Ham trägt. Und Miha Baloh spielt den verräterischen Deputy mit einer derart gelangweilten Miene, als wolle er stumm gegen den Film und sein Drehbuch protestieren.

Überhaupt, das Drehbuch. Es wartet mit einem Deus ex machina auf: Als der sterbenskranke Billy von den Banditen verschleppt wird, haben die rein zufällig einen Arzt in ihrem Lager, der Billys Fieber lindert. Am Ende artet es in einen vollendeten idiot plot aus: Als die Banditen mit ihrer hanebüchenen Geschichte vom Goldfund, der zeitgleich mit dem Goldraub stattfand, in der Siedlung auftauchen, erregen sie kaum einen Verdacht. Mit den kriminalistischen Fähigkeiten der Leute von Camp Kino ist es offenbar nicht weit her – eigentlich perfekt für die Banditen. Aber Monty, ihr Anführer, lässt sich hemmungslos volllaufen und begeht einen Vergewaltigungsversuch und einen Mord, so dass die Bande unweigerlich auffliegt. Ist das einfältig oder geschmacklos? Es ist beides.

Es gibt wirklich nicht viel, was sich Wertschätzendes über Die blutigen Geier von Alaska sagen lässt. Letztlich sind es zwei Dinge: Die Landschaftsaufnahmen, die in Österreich und Jugoslawien gefilmt wurden, sind grandios – wie immer bei Reinl. In ihnen zeigt sich das bleibende Talent eines Regisseurs, der ansonsten sein Pulver längst verschossen hatte. Und mit Kristina Nel als Sheriffstochter auf der Suche nach ihrem ermordeten Vater gibt es (für Genre-Verhältnisse) eine ziemlich aktive Frauenfigur, die nicht mal gerettet werden muss. Ein anderer Film wäre durch Nels Rolle besser geworden. Dieser leider nicht.

An den Kinokassen fiel der Film durch. Für das westdeutsche Fernsehen wurde er in Die Geier vom Shilo River umbenannt, in der Hoffnung, er würde für ein Spin-off der Serie Die Leute von der Shiloh Ranch gehalten, in der Doug McClure ebenfalls mitspielte. Die DDR zeigte den Streifen unter dem Namen Die Höllenhunde von Alaska. Wenig überraschend änderten die alternativen Titel aber auch nichts an dem Schlamassel, das dieser Film darstellt.

¹ Das ganze wiederholte sich Anfang der neunziger Jahre noch mal in kleinerem Maßstab anlässlich des Disney-Films White Fang (1991).

2.4.24

Die Hölle von Manitoba (1965)

Alternativtitel: Die weiße Hölle von Manitoba · Regie: Sheldon Reynolds · Drehbuch: Edward Di Lorenzo, Fernando Lamas, F. X. Toole · Musik: Angel Arteaga · Kamera: Federico G. Larraya · Schnitt: Teresa Alcocer, Roberto Cinquini · Produktion: CCC Film, Midega Film.

Nachdem Atze Brauner aus schierer Verzweiflung darüber, nicht mehr Karl-May-Stoffe verfilmen zu können, 1964 sogar Freddy Quinn in den Wilden Westen geschickt hatte, schien ihm im Jahr darauf endlich das Glück zu winken: Pierre Brice und Lex Barker standen ihm beide für einen Film zur Verfügung, wenn auch in Nicht-May-Rollen.

In Glory City soll der Jahrestag der Stadtgründung mit einem Zweikampf gefeiert werden: Zwei Revolverhelden treten gegeneinander an, dem Sieger winkt ein Preisgeld. Es gibt nur ein Problem: Reese (Pierre Brice) hat einen der Kontrahenten erschossen. Also macht er sich nach Glory City auf, um den Platz des Toten einzunehmen. In der Stadt schwelt ein Konflikt zwischen zwei Ranchern. Seth Grande (George Rigaud) hat sein Land für die Besiedelung durch Homesteader geöffnet. Jack Villaine (Gérard Tichy) hält gar nichts von diesem neumodischen Unsinn und setzt seine sieben Pistoleros (u.a. Aldo Sambrell) auf Grande an.

Als Reese in Glory City eintrifft, verbreitet sich das Gerücht, er sei von Grande zu seinem Schutz angeheuert worden. Da Reese verschiedene Zusammenstöße mit Villaine und seinen Pistoleros hat, schlägt er sich auch tatsächlich auf Grandes Seite. Deutlich zurückhaltender ist Brenner (Lex Barker), der zweite Revolverheld. Ihn verbindet eine unglückliche vergangene Liebesgeschichte mit Grandes Tochter Jade (Marianne Koch). In der Gegenwart dient Jade Villaine als Sekretärin/Geliebte, in der Hoffnung, so ihren Vater schützen zu können. Schließlich trifft auch Brenner die Entscheidung, es mit Villaine aufzunehmen. So kommt es, dass Reese und Brenner, die sich in wenigen Tagen in einem Kampf auf Leben und Tod gegenüber stehen sollen, jetzt Seite and Seite kämpfen.

Laut IMDb lief der Film in Österreich unter dem Titel Die weiße Hölle von Manitoba im Kino, offenbar in der Annahme, dass in einem in Kanada spielenden Streifen tiefer Schnee liegen müsste. Weit gefehlt, in Glory City ist keine einzige Schneeflocke zu sehen. Das wäre auch schwer möglich gewesen, denn die Dreharbeiten fanden im Frühjahr ’65 in Spanien statt. Tatsächlich habe ich den Verdacht, dass die Macher*innen dieses Films rein zufällig auf den Namen gekommen sind – und sich nicht viel dabei gedacht haben. Womöglich nahmen sie an, dass Manitoba in den USA liegt? Irgendwelche Hinweise auf Kanada als Handlungsort sind mir jedenfalls nicht aufgefallen.

Die Hölle von Manitoba ist ein vor sich hin plätschernder Film, der mit Actionszenen sehr sparsam umgeht. Brice und Barker (aber insbesondere Brice) machen den Eindruck, als seien sie erleichtert, mal nicht Winnetou und Shatterhand spielen zu müssen. Andererseits wirken sie aber auch nicht so, als seien sie hier mit vollem Einsatz bei der Sache, sondern spielen ihre Rollen eher auf routiniert-beiläufige Weise. Barker bekommt ein paar Szenen, in denen innere Konflikte angedeutet werden. Brice bleibt dagegen weitgehend in der generischen Rolle des mysteriösen, ironisch lächelnden Revolvermanns aus der Fremde.

Rigaud und Tichy machen einen ganz ordentlichen Job als verfeindete Rancher, ohne ihren Figuren wirklich individuelle Züge verleihen zu können. Am interessantesten (interessanter auch als die beiden männlichen Hauptrollen) ist aber Marianne Koch. Als Jade lässt sie sich auf den Ekelsack Villaine ein, um das Leben ihres Vaters zu retten. Der heißt ihr Verhalten natürlich nicht gut, bittet sie am Ende aber immerhin um Verzeihung für seine Verständnislosigkeit. Zugleich muss Jade auch noch damit  klarkommen, dass ihr Ex-Lover Brenner wieder da ist. Gar nicht so einfach. Kein Wunder, dass Jade öfter zu sehen ist, wie sie mit dem Barkeeper Charly (Wolfgang Lukschy) zusammensitzt und zur Beruhigung einen Whisky kippt.

Neben Koch und Lukschy sind mit Aldo Sambrell und Antonio Molino Rojo noch zwei weitere Mitglieder des Casts von Für eine Handvoll Dollar zu sehen. Da Leones Film in den USA erst 1966 in den Kinos lief, bekam das dortige Publikum Koch zuerst in Die Hölle von Manitoba zu sehen. Was nicht das schlechteste ist. Denn während Für eine Handvoll Dollar verdientermaßen zum Klassiker und Die Hölle von Manitoba vergessen wurde, ist es doch so, dass Marianne Koch in diesem Film redet und Agency hat, während sie in jenem völlig in der Opferrolle bleibt, vom Protagonisten gerettet werden muss und dabei kaum ein Wort sagen darf. Der Kontrast ist auffällig. Und Koch ist es, die Die Hölle von Manitoba ein Stück weit sehens- und erinnernswert macht.

Kameramann Federico Larraya filmt gern Alltagsszenen und scheinbar bedeutungslose Details (z.B. eine Frau, die den Boardwalk fegt; ein Kind, das mit einer Marionette spielt). Gelegentlich experimentiert er mit ungewöhnlichen Perspektiven. Richtig austoben kann er sich beim Fotografieren der antiklimaktisch erzählten Schlussszene mit dem Schaukampf, in der die nach Blut lechzenden Bürger*innen von Glory City sich auf den Balkons und Straßen drängen. Das Editing von Renato Cinquini macht manchmal einen etwas erratischen Eindruck, von dem ich nicht weiß, ob er gewollt ist (oder auf Studio-Interventionen zurückgeht).

Bemerkenswert ist auch, dass Die Hölle von Manitoba komplett darauf verzichtet, die Formel der Karl-May-Filme zu kopieren. Die Idee, dass eine Stadt ihren Jahrestag mit einem blutigen Gladiatorenkampf feiert, könnte kaum weiter weg davon sein. Einzig die Tatsache, dass Lex Barker auch hier keinen Hut trägt, lässt sich als Anspielung auf seine Shatterhand-Rolle verstehen.

Insgesamt hinterlässt Die Hölle von Manitoba den Eindruck eines Films, der unentschlossen bleibt. Er will sichtlich ein konventioneller Western mit konventionellen Themen (Konflikt zwischen zwei Ranchern, Partnerschaft zweier ungleicher Revolverhelden) sein. Andererseits kommt er mit ›ungewöhnlichen‹ Elementen (wie der Schaukampf-Story, oder auf formaler Ebene der Kameraarbeit) daher. Man weiß nicht so recht, wie man sich diesen Film ansehen soll, auf welcher der beiden Seiten der Schwerpunkt liegt. Eine stärkere Regie hätte vielleicht für eine Entscheidung sorgen können. Aber so oder so: Wegen Marianne Koch habe ich Die Hölle von Manitoba ganz gerne gesehen.