20.2.22

September Dawn (2007)

Regie: Christopher Cain · Drehbuch: Christopher Cain, Carole Whang Schutter · Musik: William Ross · Kamera: Juan Ruiz Anchía · Schnitt: Jack Hofstra · Produktion: Black Diamond Pictures.

Im Jahr 1857 überfielen im Süden Utahs mormonische Milizionäre den Wagentrek der Baker-Fancher-Gesellschaft und ermordeten 120 Siedler*innen. Der Trek, benannt nach seinen Anführern John Twitty Baker und Alexander Fancher, kam aus Arkansas und war auf dem Weg nach Kalifornien. Die von der Überquerung der Rocky Mountains erschöpften Siedler*innen hatten wahrscheinlich gehofft, Utah schnell und unauffällig durchqueren zu können.

Jedoch hatten sie nicht mit der paranoiden und gewalttätigen Stimmung gerechnet, die zu dieser Zeit die mormonische Bevölkerung Utahs erfasst hatte. Man erwartete dort täglich eine großangelegte Invasion der US-Armee, seit Präsident Buchanan angekündigt hatte, mit militärischen Mitteln gegen die Institution der »plural marriage« vorgehen zu wollen. Mormonische Polygamie sorgte in der Tat für Empörung in weiten Kreisen der US-Gesellschaft. Buchanans Gründe für die Wendung gegen die Heiligen der letzten Tage waren allerdings ziemlich durchsichtig: Er wollte damit (erfolglos) vom Konflikt um die Sklaverei ablenken, der sich täglich zuspitzte und wenige Jahre später im Bürgerkrieg mündete.

Obwohl die befürchtete Invasion Utahs auf sich warten ließ, verknüpfte die Angst davor sich unter den Mormon*innen mit apokalyptischen Vorstellungen. Und Brigham Young, der sowohl Gouverneur von Utah als auch Oberhaupt der mormonischen Kirche war, goss zusätzlich Öl ins Feuer, indem er zu jeder Gelegenheit seine Lehre vom »blood atonement« verkündete: Manche Sünden seien so schwerwiegend, erklärte er, dass sie nur gesühnt werden könnten, indem man das Blut der Sünder*innen vergieße. Diese Lehre ließ sich nur zu leicht als Freibrief zur Gewalt gegen alle Nichtmormon*innen verstehen.

Die Baker-Fancher-Gesellschaft platzte mitten in diese aufgeheizte Situation hinein. In Utah gingen Gerüchte um, der Wagentrek führe große Reichtümer mit sich. Mormonische Würdenträger überredeten eine Gruppe von Paiute-Indigenen, den Trek zu überfallen. Die mormonische Miliz würde ihnen dabei helfen. Allerdings nutzten die Milizionäre die Paiute auf hinterhältige Weise aus. Sie verkleideten sich vor dem Überfall als Indigene, um die Verantwortung für die Bluttat allein den Paiute in die Schuhe schieben zu können.

Der erste Überfall fand am 7. September statt. Verkleidete Milizionäre unter dem Befehl von John D. Lee, Brigham Youngs Adoptivsohn, griffen die Siedler*innen im Verbund mit einer kleinen Zahl Paiute an. Der Überfall wurde zurückgeschlagen, aber den Siedler*innen war klar, dass sie umzingelt waren. Am 11. September, als die Lebensmittel bereits knapp wurden, erschien Lee mit weißer Flagge im Lager und erklärte heuchlerisch, er habe mit den »hostile Indians« verhandelt. Er versprach den Siedler*innen freies Geleit. Ihre Waffen, Pferde und Wagen müssten sie allerdings zurücklassen. Die Siedler*innen durchschauten Lees Spiel vermutlich, aber ausgehungert, wie sie waren, blieb ihnen keine andere Wahl. Kaum hatten sie ihr Lager unbewaffnet und zu Fuß verlassen, wurden die Männer der Gesellschaft aus nächster Nähe per Kopfschuss ermordet. Anschließend fielen Lees Milizionäre über die Frauen und Kinder her und schlachteten sie mit Messern und Gewehrkolben förmlich ab.

Nur Kinder unter fünf Jahren wurden am Leben gelassen und mormonischen Familien übergeben. Der US-Regierung gelang es später, diese Kinder zu identifizieren und ihren Verwandten zurückzugeben. Davon abgesehen, hatte das Massaker kaum Konsequenzen. Die mormonische Führung leugnete zunächst jede Beteiligung: Die Siedler*innen seien von den Paiute ermordet worden, und nur von ihnen. Später schob man John D. Lee (im Film mit der überzeugendsten Darbietung: Jon Gries) die alleinige Verantwortung zu. Als einziger Beteiligter an dem Massaker wurde er vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Bis heute gibt es eine Kontroverse darüber, ob Brigham Young persönlich Mitverantwortung für das Massaker trug. Die mormonische Kirche präsentiert zu seiner Entlastung einen von ihm geschriebenen Brief – der allerdings ziemlich doppeldeutig formuliert ist. Man kann ihn auch als verklausulierte Aufforderung lesen, sich beim Überfall auf den Trek bloß nicht erwischen zu lassen. Denn es ist doch eher unwahrscheinlich, dass Young, der Utah mit eiserner Faust regierte, von den Machenschaften seines eigenen Adoptivsohns nichts gewusst haben will.

Christopher Cains Film September Dawn stellt Young, gespielt von Terence Stamp, recht eindeutig als für die Bluttat verantwortlich dar. Die Siedler*innen zeigt er als so naiv und vertrauensselig, dass es die Glaubwürdigkeit strapaziert. Aber mit der Glaubwürdigkeit hat September Dawn es ohnehin nicht so. Der Film wird seiner ernsten Thematik an keiner Stelle gerecht.

Im Mittelpunkt der Handlung steht die Pastorentochter Emily (Tamara Hope), die dem Baker-Fancher-Trek angehört und sich in den Pferdeflüsterer Jonathan (Trent Ford), einen jungen Mormonen, verliebt. Jonathan erwidert ihre Gefühle und gerät deshalb in Konflikt mit seinem Vater (Jon Voight), der als mormonischer Bischof eine treibende Kraft bei dem Anschlag auf den Siedler*innen ist.

Nicht nur diese Liebesgeschichte, sondern die komplette Filmhandlung wird mit einem Ausmaß an Overacting dargestellt, wie ich es schon lange nicht mehr gesehen habe. Der unfreiwillig komische Eindruck, der dadurch erzeugt wird, verstärkt sich noch durch die Erzählweise des Films. Zahlreiche oft unmotivierte Vor- und Rückblenden machen September Dawn zu einer ziemlich verwirrenden Angelegenheit. Hinzu kommt die Synchronisation, die auf einer sprachlich unterirdischen Übersetzung beruht und von Sprecher*innen vorgetragen wird, die unter dem Einfluss sedierender Medikamente zu stehen scheinen.

Es ist angesichts der Tragik der historischen Ereignisse nicht wirklich angemessen, doch ich muss gestehen, dass ich den Film auf eine Weise unterhaltsam fand, die ganz sicher nicht intendiert ist. Aber es ist einfach so: September Dawn will dramatisch sein, herausgekommen ist lustiger Trash.

Natürlich versucht der Film trotz allem, ›relevant‹ zu sein. Es wird darin viel Aufhebens um den historischen Zufall gemacht, dass das Baker-Fancher-Massaker am 11. September stattfand. Wer denkt da nicht an den fatalen Anschlag auf das World Trade Center? Aber die mormonischen Milizionäre als Präfiguration heutiger Dschihadist*innen zu zeigen, funktioniert aus verschiedenen Gründen nicht. Zum einen ist der Dschihadismus ein internationales Phänomen, während die religiöse Gewalt, die der Mormonismus zur Zeit Youngs ausübte, ganz homegrown amerikanisch ist.

Zum anderen rechnet der Film nicht mit der historischen Ignoranz seines Publikums. Im 19. Jahrhundert waren die Mormon*innen Verfemte, die von der Mehrheitsgesellschaft Gewalt erfuhren und ihrerseits äußert gewaltsam zurückschlugen. Die zeitgenössische Abenteuerliteratur stellt mormonische Männer gern als heimtückische und erzkriminelle Mädchenhändler dar. (Einschlägige Beispiele sind Arthur Conan Doyles Study in Scarlet, Robert Louis Stevensons The Dynamiter und diverse Romane und Erzählungen von Karl May.) Heute dagegen gelten Mormon*innen als eine Stütze des weißen, konservativen Amerika, die sich nur durch einige skurrile Glaubensinhalte von ihren evangelikalen Geschwistern unterscheiden.

Was das historische Ambiente angeht, gibt sich September Dawn zwar durchaus korrekt. Brigham Young und den in einer Rückblende von Dean Cain dargestellten Joseph Smith lässt der Film zahlreiche Originalzitate sprechen. Gerade deshalb schlug dem Film aber ein gewisser Unglaube entgegen. Der Kontrast zwischen Youngs und Smiths authentischen Worten und dem heutigen Saubermann-Image der Latter Day Saints ist zu stark. Das zeigt sich deutlich an der Filmbesprechung von USA Today: Rezensent Michael Medved beschwert sich in schönster Offenheit, dass es doch viel besser gewesen wäre, einfach einen Film über (so wörtlich) »Islamo-Nazi killers« zu machen, statt historische Umwege zu gehen.

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