18.12.24

All’ultimo sangue (1968)

Deutscher Titel: Den Geiern zum Fraß · Regie: Paolo Moffa · Drehbuch: Enzo Dell’Aquila · Musik: Nico Fidenco · Kamera: Franco Villa · Produktion: Società Ambrosiana Cinematografica.

Paolo Moffa war hauptberuflich Filmproduzent. Mit seiner Firma S.A.C. verschaffte er einer Anzahl Italowestern die Finanzierung. 1968 brauchte er offenbar seinerseits dringend Geld und beschloss daher, selbst bei einem Western Regie zu führen – oder zumindest so zu tun, als würde er Regie führen.

Billy the Gun (Ken Wood) und seine Bande überfallen den Geldtransport einer Bank. Die Gangster nehmen die Identität der Bankangestellten an und rauben der US-Kavallerie eine größere Menge Gold. Die Army möchte ihre Peseten zurück haben und beauftragt Captain Clive Norton (Craig Hill) mit der Verfolgung von Billy & Co. Norton stellt nur eine Bedingung: Er will Ted Hunter, genannt El Chaleco (Ettore Manni), als Begleiter. Der hat mit Billy nämlich noch ein Hühnchen zu rupfen. Chaleco soll allerdings als Deserteur gehängt werden. Mit dem stillschweigenden Einverständnis seines vorgesetzten Offiziers (Luciano Doria) rettet Norton Chaleco vor dem Galgen und reitet mit ihm davon. Es folgt ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden, das deutlich von Tucos und Blondies Durchquerung der Wüste in The Good, the Bad and the Ugly, ähem, ›inspiriert‹ ist. Als Norton endlich verrät, was das Ziel ihrer Unternehmung ist, erklärt sich Chaleco sofort bereit, ihn auf der Suche nach Billy zu unterstützen. Preisfrage: Warum hat Norton ihm das nicht einfach gleich gesagt?

Billy the Gun und seine Kumpane vertreiben sich unterdessen die Zeit damit, einen armen peón und seine Frau zu quälen. Norton und Chaleco werden aufgehalten, weil sie dem mexikanischen Outlaw Cordero (Francesco Santovetti) und seinen Jungs in die Hände fallen. Cordero lässt die beiden Helden der Army gefesselt und nur in ihre Union Suits gekleidet am Boden anpflocken. Zwischen ihnen stellt er eine Schale Milch auf, um Giftschlangen anzulocken. Im letzten Moment werden sie von zwei des Weges daherkommenden Fremden gerettet, denen sie Kleidung und Pferde stehlen, um Cordero nachzureiten. Wieder eine von einem Vorbild ›inspirierte‹ Szene – diesmal sind es zwei Episoden aus La resa dei conti, die miteinander kombiniert werden.

Angekommen in Corderos Heimatort San Pablito, vereinbaren Norton und Chaleco mit den Mexikanern einen Deal. Sie sollen ihnen gegen Billy beistehen und dafür einen Teil des Schatzes bekommen. Billy & Co. haben sich in einem alten Bergwerk versteckt. Von dort aus wollen sie zu geeigneter Zeit über die Grenze nach Mexiko fliehen. Chaleco schleicht sich ins Bergwerk und vermint es mit Dynamit. Dann klärt er Billy und seine Freundin Consuelo (José Greci) über die Situation auf: Gleich geht der Stollen in die Luft, und Cordero steht mit seinen Leuten zum Angriff bereit. Billy zögert nicht lang. Er lässt seine Bande im Stich und schafft mit Consuelo und Chaleco das Gold aus dem Bergwerk.

Draußen fordert Chaleco Billy zum Duell auf. Mittlerweile hat sich herausgestellt: Billy und Chaleco sind Brüder. Consuelo ist mit Chaleco verheiratet. Billy hat ihr weisgemacht, Chaleco sei tot, und sie gezwungen, mit ihm zu kommen. Chaleco und Billy liefern sich einen Zweikampf mit Messern, doch der verräterische Billy (der ja nicht grundlos »the Gun« heißt) schnappt sich einen Revolver und legt auf Chaleco an ...

Als erstes fällt an diesem Flick auf, dass er nicht nur einzelne Szenen aus verschiedenen Genre-Klassikern imitiert, Moffa bedient sich anderer Filme auch noch auf viel direktere Weise: Die Szene mit dem Überfall auf den Banktransport zu Beginn stammt aus Starblack. Der Raub des Army-Goldes gleich darauf ist aus Per il gusto di uccidere. Später kommt noch Material aus 4 dollari di vendetta hinzu. Es ist Footage aus anderen Filmen, mit dem Moffa sein eigenes Machwerk großzügig auspolstert. Durch die sehr unterschiedlichen Landschaften, in denen das jeweilige Material fotografiert wurde, fällt der Schwindel sofort ins Auge.

Der Plot ist bietet kaum Überraschungen: Alle sind hinter dem Gold her, es gibt wechselnde Allianzen, eine mexikanische Bande reitet immer mal wieder in die Handlung hinein und wieder hinaus, Rache kommt natürlich auch vor. Im ganzen Film treten nur zwei Frauen auf, die beide vom Hauptschurken Billy erschossen werden. Noch vorhersehbarer wird die Sache dadurch, dass es immer wieder (in diesem Fall von Moffa selbst gedrehte) Szenen gibt, in denen Norton und Chaleco durch die Gegend reiten und darüber reden, was sie als nächstes tun werden. Mit Hilfe dieses Füllmaterials schafft es Moffa, den Film auf fast 100 Minuten auszuwalzen. Die Handlung hätte allerdings auch in der Hälfte der Laufzeit bequem Platz gefunden.

Angesichts der dreisten Klauerei, der generischen Story und der problematischen weiblichen Rollen ist es nicht verwunderlich, dass All’ultimo sangue regelmäßig mit Spott und Ablehnung bedacht wird. Aber der Vollständigkeit halber muss gesagt werden: Es ist kein vollständig misslungener Film. Hin und wieder weist er unerwartete Momente auf, die für sich genommen recht vielversprechend sind. Dazu gehört der Spaghetti-untypisch mit dem Messer ausgetragene Zweikampf zwischen Chaleco und Billy. Dazu gehört, wie sich die Rolle des Protagonisten im Laufe des Films in unerwarteter, aber folgerichtiger Weise von Craig Hill auf Ettore Manni verlagert. Und auch, dass der völlig unbekannte Darsteller Francesco Santovetti mit seinen hageren Gesichtszügen als mexikanischer Bandit ein gar nicht so schlechtes Bild abgibt.¹ Zudem ist die Musik von Nico Fidenco besser, als sie eigentlich sein dürfte.

Für mich folgt daraus, dass Moffa sich besser mal ein*e Regisseur*in gesucht hätte, statt sich diese Position selbst anzumaßen. Jemand mit der nötigen Erfahrung hätte die Geschichte packender erzählen können, und hätte hoffentlich gewusst, dass Frauen in Filmen keine Staffage sind, sondern Schauspielerinnen, die es verdient haben, eine Rolle zu spielen. Und die peinliche Sache mit dem geklauten Footage hätte sich dann vielleicht auch erledigt. Insofern: schade eigentlich.

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¹ Dass der stock character des mexikanischen Bandenchefs hier Cordero heißt, ist für sich genommen auch recht lustig (el cordero = das Lamm).

9.12.24

The Deerslayer (1957)

Deutscher Titel: Lederstrumpf – Der Wildtöter · Regie: Kurt Neumann · Drehbuch: Kurt Neumann, Dalton Trumbo, Carroll Young · Musik: Paul Sawtell, Bert Shefter · Kamera: Karl Struss · Schnitt: Jodie Copelan · Produktion: Regal Films.

Wildtöter (Lex Barker) und Chingachgook (Carlos Rivas) stehen dem weißen Händler Harry March (Forrest Tucker) bei, als dieser von Kriegern der Huronen überfallen wird. March erklärt, er sei auf dem Weg zu einem weißen Jäger namens Tom Hutter (Jay C. Flippen), mit dem er Geschäfte habe. Wildtöter und Chingachgook begleiten March zu Hutter, der mit seinen Töchtern Judith (Cathy O’Donnell) und Hetty (Rita Moreno) in einem Hausboot auf dem Lake Otsego lebt. Hutter erwartet, in Kürze ebenfalls von den Huronen angegriffen zu werden. Wildtöter und Chingachgook können sich aus den Geschichten des eigenbrötlerischen alten Mannes nicht so recht einen Reim machen. Er behauptet, ›Felle‹ an March zu verkaufen, aber nirgendwo auf dem Hausboot sind zum Trocknen aufgehängte Felle zu sehen. Außerdem hegt er einen fanatischen Hass auf alle Indigenen (Chingachgook eingeschlossen) und scheint es nicht zu mögen, Fremde bei sich zu beherbergen – auch dann nicht, wenn diese Fremden ihm gegen die Huronen beistehen wollen. Wildtöter und Chingachgook bleiben dennoch, nicht zuletzt, um herauszufinden, warum die Huronen es überhaupt auf Hutter abgesehen haben. Bald wird den beiden klar: Die ›Felle‹, mit denen Hutter sein Geld macht, stammen von Menschen. Er hat sich die Huronen zum Feind gemacht, weil er Skalpjäger ist.

Der aus Nürnberg stammende Regisseur Kurt Neumann ging zu Beginn der dreißiger Jahre nach Hollywood. In der Frühzeit des Tonfilms war es mangels fortgeschrittener Synchronisationstechnik üblich, Filme für die internationale Vermarktung in mehreren Sprachversionen zu drehen, manchmal sogar mit unterschiedlichem Cast.¹ Das war zunächst auch Neumanns Job: Er führte bei den deutschsprachigen Fassungen Regie, die die Studios für ihre Filme wünschten. Recht schnell etablierte sich Neumann jedoch als Genre-Regisseur aus eigenem Recht: Er drehte Komödien, Tarzanfilme und später SF-Streifen wie The Fly mit Vincent Price.

In den fünfziger Jahren realisierte Neumann mit Hiawatha (1952), Mohawk (1956) und dem hier besprochenen Deerslayer eine Reihe von Western, die auf naive Weise versuchten, die Perspektive der Indigenen zur Darstellung zu bringen (was allerdings nicht bedeutet, dass indigene Cast- oder Crew-Mitglieder an der Produktion beteiligt gewesen wären). Ein aus heutiger Sicht merkwürdiger Aspekt der zeitgenössischen Rezeption dieser Filme ist, dass ihnen »kommunistische Tendenzen« (mithin Antiamerikanismus) vorgeworfen wurden. Tatsächlich waren mit Arthur Strawn und Dalton Trumbo Drehbuchautoren involviert, die in Hollywood auf der antikommunistischen Schwarzen Liste standen. Bizarr ist es dennoch, denn die betreffenden Filme sind ungefähr so antiamerikanisch wie Seifenopern oder Thanksgiving-Feiern – nämlich überhaupt nicht. Eher könne man ihnen vorwerfen, dass die Schilderung der Konflikte zwischen Indigenen und Siedler*innen in einem zu versöhnlichen Ton gehalten ist, als dass sie dem Thema gerecht werden könnten. Gerade wegen dieser Versöhnlichkeit wurde den Filmen allerdings »Pazifismus« unterstellt, und in der aufgeheizten Atmosphäre der McCarthy-Ära war Pazifismus offenbar gleichbedeutend mit Kommunismus.

Aber zurück zu The Deerslayer. Der hatte insbesondere in Deutschland eine ausgesprochen wechselhafte Geschichte. Zunächst wurde der etwa 80 Minuten lange Film für die deutschen Kinos auf magere 60 Minuten zusammengekürzt. Später wollte das ZDF ihn zeigen, hatte aber anscheinend zu viel Sendezeit zur Verfügung. Jedenfalls fand man in Mainz, dass 60 Minuten zu kurz waren. Statt sich um eine ungekürzte Kopie zu bemühen, schnitt man zu Beginn und in der Mitte des Films einige Szenen aus dem Sauerkraut-Western Die schwarzen Adler von Santa Fe (1965) hinein und erreichte damit eine Laufzeit von 75 Minuten. Doof nur, dass The Deerslayer in den 1740er Jahren an den Quellen des Susquehanna River spielt, während die Handlung von Die schwarzen Adler ungefähr 120 Jahre später in der Comanchería angesiedelt ist.

Um die eigentliche Filmhandlung mit den neu eingefügten Szenen zu verknüpfen, wurde eine neue Synchronisation erstellt. Treuherzig erklärt eine Erzählstimme aus dem Off (Hans Müller-Trenck) immer dann, wenn zu dem Material aus Die schwarzen Adler geschnitten wird, die folgenden Szenen spielten »weiter im Süden«. Natürlich kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass nichts daraus irgendetwas mit der Haupthandlung von The Deerslayer zu tun hat. Fabriziert hat den ganzen Spaß der Dokumentarfilmer Hans Schipulle, der in der ZDF-Fassung unter dem Pseudonym Clint Reinard als Co-Regisseur genannt ist. Und um der Sache die Krone aufzusetzen, wurde sie als »Extended Version« des Films auf DVD und Blu-ray veröffentlicht.

Weiß man über diese Geschichte Bescheid, wirkt die ZDF-Version eher erheiternd. Es ist, als würde man einen Film mit Werbeunterbrechungen ansehen, in denen der Trailer für einen anderen Film läuft. Weiß man es nicht und hält die angebliche »Extended Version« für authentisch, wird man vermutlich vor allem irritiert sein. Jedenfalls ist es im Zweifel besser, auf die gekürzte 60-Minuten-Fassung zurückzugreifen. Die ist zwar unvollständig, aber es ist dennoch zu erahnen, dass The Deerslayer als Cooper-Verfilmung gar nicht mal so schlecht ist. Im Vergleich zu Mohawk, Neumanns unfreiwillig komisch geratenem Flick aus dem Vorjahr, wartet The Deerslayer mit einigen gelungenen Ansätzen auf.

Coopers Geschichte wurde für die Adaption an einigen Punkten geändert, auf nicht uninteressante Weise. So hat die Figur der Hetty anders als im Roman keine geistige Behinderung, jedenfalls nicht im klinischen Sinn. Hutter redet ihr dennoch ein, dass sie »nicht ganz richtig im Kopf« sei, um ihr Autonomiestreben einzuschränken. Denn Hetty streift gern im Wald umher und fühlt sich dabei wohler als auf dem Hausboot des vom Hass zerfressenen Hutter mit seiner Belagerungsmentalität. Am Ende stellt sich heraus, dass der Alte sie belogen hat – Hutter hat sie als Baby aus einem indigenen Dorf geraubt, damit seine leibliche Tochter Judith eine Spielgefährtin hat. Diese Umkehrung eines typischen Western-Motivs (an die Stelle des von Indigenen entführten weißen Mädchens tritt ein indigenes Mädchen, das von einem Weißen entführt wurde), das ihm Jahr zuvor durch The Searchers ausgesprochen bekannt wurde, hätte ich einem Film wie diesem gar nicht zugetraut.²

Überhaupt ist Rita Moreno hinreißend. Auch Jay C. Flippen gibt den psychopathischen alten Skalpjäger auf überzeugende Weise, besonders in der Interaktion mit Forrest Tucker. Sie spielen Hutter und March so, dass beide sich nicht ausstehen können, aber aufgrund ihrer Gier und Furcht vor den Huronen geht es auch nicht ohne einander. March, der mit Judith verlobt ist, sieht diese zunächst als bloßes Mittel, um umso besser am einträglichen Skalpgeschäft ihres Vaters partizipieren zu können.

Im Vergleich zu diesem Ensemble mit all seinen pathologischen Verstrickungen bleibt Lex Barker, der ohnehin kein großer Schauspieler war, ein ziemlich blasser und eindimensionaler Wildtöter. Carlos Rivas’ Rolle als Chingachgook ist lediglich die eines wenig eigenständigen Sidekicks. (Letzteres mag auch daran liegen, dass etwa 20 Minuten des ursprünglichen Films fehlen.) Moreno, Flippen und Tucker sind es, die hier die Show stehlen.

Während die Neuerung, aus Hetty Hutter ein geraubtes indigenes Kind zu machen, eine gelungene Aktualisierung darstellt, ist das Ende des Films, das ebenfalls von Coopers Vorlage abweicht, in meinen Augen etwas konfliktscheu geraten. Dabei kommt die bereits angesprochene versöhnliche Haltung voll zum Tragen. Die sieht in diesem Fall vor, dass es einen redemptive arc geben muss, nämlich für Harry March. Ich muss gestehen, es hätte mir besser gefallen, wenn March am Ende die Rechnung für sein Verhalten präsentiert worden wäre. Insgesamt war Neumanns Deerslayer für mich aber interessanter, als ich erwartet hätte: Ich würde gern mal die Original-Kinofassung sehen.

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¹ Das bekannteste Beispiel dafür stellen die englische und die spanische Version von Universals Dracula (1931) dar.

² 1960 erzählte John Huston in The Unforgiven eine ähnliche Geschichte, wobei er versuchte, Neumanns Kintopp durch ernsthaftes Drama zu ersetzen.

18.11.24

I giorni della violenza (1967)

Deutscher Titel: Sein Wechselgeld ist Blei · Regie: Alfonso Brescia · Drehbuch: Mario Amendola, Antonio Boccacci, Gian Luigi Buzzi, Paolo Lombardo · Musik: Bruno Nicolai · Kamera: Fausto Rossi · Schnitt: Antonietta Zita · Produktion: Concord Film.

Missouri während des Bürgerkriegs: Cowboy Hank (Lucio Rosato) belästigt Lizzy (Rosalba Neri), die Frau des foreman Clell Lee (Romano Puppo). Clells Bruder Johs¹ Lee (Peter Lee Lawrence) schreitet ein, und Lizzy und er verpassen Hank eine Abreibung. Von der Ranch vertrieben, kehrt Hank mit ein paar Spießgesellen zurück, um die Pferde des Ranchers Evans (Andrea Bosic) zu stehlen. Der Diebstahl kann jedoch mit Hilfe von Butch (Nello Pazzafini) verhindert werden. Butch ist Anführer einer Gruppe von Bushwhackers, die auf der Seite der Konföderierten einen Guerillakrieg gegen die Union führen. Butch hätte gern, dass Johs sich seiner Bande anschließt, doch der lehnt ab.

Johs hat auch anderes im Sinn. Er liebt Christine (Beba Lončar), die Tochter von Boss Evans, und sie liebt ihn. Der Rancher gibt sich zwar gern als glühender Anhänger von »the Cause«, aber hauptsächlich geht es ihm darum, seinen Besitz zusammenzuhalten. Wohl deshalb ist er nicht ganz abgeneigt, seine Tochter einen gewöhnlichen Cowboy wie Johs heiraten zu lassen.

Jedoch ist Hanks Rachsucht nach wie vor ungestillt. Er wendet sich an die Unionstruppen und behauptet, Evans’ Ranch diene als Versteck für Butch und seine Bande. Captain Clifford (Luigi Vannucchi) unternimmt daraufhin eine Razzia auf die Ranch. Zwar findet er keine Bushwhacker, aber er beschlagnahmt Evans’ Pferde und lässt Clell und Lizzy Lee tot im Staub zurück.

Notgedrungen schließt Johs sich nun doch den Bushwhackers an. Zwar geht es ihm gegen den Strich, dass Butch seine anti-unionistischen Unternehmungen mit Raubüberfällen finanziert, aber Butch macht ihn kurzerhand zum Mittäter.

Zwei Jahre später, nach dem Ende des Krieges, ist auf Johs’ Kopf eine Belohnung ausgesetzt. Auch Butch hat es geschafft, als Outlaw zu überleben. Clifford hingegen macht mit Hanks Unterstützung gute Geschäfte als Carpetbagger. Evans’ Ranch droht der Verfall. Seine vormals gehegten sezessionistischen Überzeugungen legt er ab, um sich mit den Yankees zu arrangieren. So kommt es ihm nicht ungelegen, dass Clifford um die Hand Christines anhält. Die hat aber weder den Mord an Clell und Lizzy noch ihre Liebe zu Johs vergessen.

Christine verlässt die Ranch und geht zu Johs, der gemeinsam mit Butch auf der Flucht vor Clifford und Hank ist. Christines Anwesenheit bewirkt das endgültige Zerwürfnis zwischen Johs und Butch, bevor es auf der Ranch zum großen Showdown kommt.

I giorni della violenza ist der Versuch, einen amerikanischen Bürgerkriegswestern auf Italienisch zu machen. Die Erzählweise, und auch die geschilderten moralischen Konflikte, sind ganz an den Hollywood-Vorbildern orientiert: Es geht um das Schicksal der Familien Evans und Lee, die durch den Krieg in ungeahnte Verstrickungen geraten. Johs Lee will sich zunächst auf keine Seite stellen, spricht von einem Bruderkrieg, wird aufgrund von Hanks Machenschaften zum Verfolgten und ergreift deshalb schließlich für den Süden Partei, ohne sich ganz mit ihm identifizieren zu können. Anders Rancher Evans, der zwar als Sezessionist anfängt, aber zwecks Bewahrung seiner Privilegien als Großgrundbesitzer keine Skrupel hat, sich mit dem Unionisten Clifford zu verbünden, sobald der Wind sich dreht. Christine Evans bleibt als Figur weitgehend passiv und richtet sich nach Johs.

Die Unionstruppen und ihre Verbündeten, verkörpert durch Clifford und Hank, werden als plündernde und mordende Invasoren dargestellt. Zwischentöne sucht man bei ihrer Charakterisierung vergeblich. Die Frage der Sklaverei wird weitgehend ausgeklammert. In einer Nebenrolle ist Harold Bradley als Nathan, Bediensteter auf der Evans-Ranch, zu sehen.² Es ist anzunehmen, dass Nathan ein Sklave ist, aber in dem Teil des Films, der nach Kriegsende spielt, ist er zu sehen, wie er weiterhin den Rancher bedient, ohne dass sein Verbleib in dieser Rolle irgendwie problematisiert wird.

Der Amerikanische Bürgerkrieg und seine Folgen waren im Spaghettiwestern, der sich für Historisches sonst ja nicht sonderlich interessierte, durchaus ein Politikum. Versprengte Trupps von konföderierten Soldaten, die auch nach dem Krieg das Kämpfen nicht sein lassen können oder sich in fememordende Banden (nach dem Vorbild des Ku Klux Klan) verwandeln, sind im Genre sehr häufig.³ Es ist unschwer zu erkennen, dass diese Darstellung von der Erfahrung des Faschismus beeinflusst ist. Mit Beginn der Bleiernen Jahre in Italien erwies sie sich als prophetisch, denn es zeigte sich, dass auch die neofaschistische Bewegung zu massiver terroristischer Gewalt in der Lage war.

In I giorni della violenza ist davon wenig zu merken. Mit seiner engen Orientierung an US-Vorbildern kauft er sich auch deren ganz anders geartete Ideologie ein, und zwar vor allem, indem er die Sklaverei ignoriert und die unionistische Seite stereotyp als Invasoren und Geschäftemacher hinstellt. Übrigens verwendet der Film einige Mühe darauf, historisch fundiert aufzutreten. Zu Beginn wird eine Texttafel eingeblendet, die die Situation Missouris im Bürgerkrieg (als in der Union verbliebener Sklavenstaat, in dem es beträchtliche sezessionistische Sympathien gab) erläutert. Es wird viel Wert darauf gelegt, die Geographie korrekt wiederzugeben. Das führt mitunter zu kuriosen Dialogen, da die Charaktere in Form von Infodumps erläutern, an welchem Ort sie sich gerade befinden und wo sie hinwollen.

Aber da dies ein Spaghettiwestern ist, gibt es unweigerlich auch einen geographischen Patzer, der dann wieder einigen Unterhaltungswert hat: In einer Szene mit Clifford und Hank kommt eine Landkarte vor, die Missouri zeigen soll – auf der aber, unschwer erkennbar, Texas zu sehen ist. Auch sonst fallen solche Details in I giorni della violenza umso mehr auf, gerade weil der Film sich so historisch gibt: Die Waffen der Unionssoldaten sind anachronistisch, und die Drehorte im Latium sehen nun mal nicht wie Missouri aus. Die Außenszenen auf der Evans-Ranch wurden in der Tenuta delle Capannacce gefilmt, die in zahlreichen Italowestern als herrschaftliche Ranch oder Estanzia zu sehen ist. Hier fällt es leider schwer, sich den mediterran anmutenden Gutshof mit seinen weißgetünchten Wänden und Zypressenbäumen als in den Ozarks gelegen vorzustellen. Ein Blockhaus wäre passender gewesen.⁴ Hinzu kommt, dass ein Streifen wie dieser Massenszenen gebraucht (und wohl auch gern gehabt) hätte, das Budget diese aber nicht hergab. Jedenfalls sind in den meisten Einstellungen kaum mehr als ein Dutzend Statist*innen im Bild zu sehen.

So weit könnte I giorni delle violenza von der Handlung und den Figuren her ein Film sein, wie man ihn etwa von Andrew V. McLaglen kennt. Hinterrücks schleichen sich aber doch typische Spaghetti-Elemente in Form des Subplots um Johs und Butch ein. Letzterer entspricht der bekannten Figur des älteren Revolverhelden, der einen jungen Mann die Kunst des Tötens lehrt. Natürlich kommt es dann zur Konfrontation zwischen dem jüngeren und dem älteren Mann, deren Ausgang Genre-Kenner*innen nicht überraschen wird. Nello Pazzafini in der Rolle des ebenso jovialen wie amoralischen Bushwhacker-Hauptmanns ist das Mitglied des Casts, das in diesem Film am meisten hervorsticht und die stärksten Szenen hat. Hauptdarsteller Peter Lee Lawrence, von dem ja in der Regel (so auch hier) keine großen schauspielerischen Leistungen zu erwarten sind, wird von Pazzafini glatt an die Wand gespielt.

Von Pazzafinis sehenswertem Auftritt einmal abgesehen, stellt sich bei diesem Film die Frage: Wozu das ganze? Wie so oft bei Italowestern, die sich eng an US-amerikanische Vorbilder anlehnen, kommt er an Hollywood nicht heran, liefert aber auch nicht das, was man von einem gelungenen Spaghettiwestern erwartet.

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¹ Das war wohl ein Tippfehler und sollte eigentlich Josh heißen. Aber da er anscheinend niemandem aufgefallen ist, hat »Johs« es in den fertigen Film geschafft. Jedenfalls sprechen die Charaktere den Namen stets Dschoos aus.

² Harold Bradley war zunächst Footballspieler, ging aber Ende der fünfziger Jahre mit Hilfe eines Kunststipendiums nach Rom, um dort Malerei studieren. Nebenher organisierte er Folk-Konzerte und schauspielerte, wobei er überwiegend in Sandalenfilmen zu sehen war. Die Rolle des Nathan ist meines Wissens sein einziger Auftritt in einem Italowestern.

³ Sie sind sogar noch in einem so späten Beitrag zum Genre wie Bruno Matteis Trash-Film Scalps (1987) zu sehen.

⁴ Das Landgut ist unter dem Spitznamen Villa Mussolini bekannt, weil der Diktator es als Reiterhof benutzte. Für Fans, die sich gern mit den Drehorten der Italowestern beschäftigen, hat I giorni della violenza immerhin den Vorzug, dass die Bauten der Tenuta so häufig wie selten im Bild zu sehen sind.

12.11.24

Trinità & Bambino ... e adesso tocca di noi (1995)

Deutscher Titel: Trinity und Babyface / Ein Begräbnis und die Auferstehung der vier Fäuste · Regie: Enzo Barboni · Drehbuch: Marco Barboni · Musik: Stefano Mainetti · Kamera: Juan Amorós · Schnitt: Antonio Siciliano · Produktion: Rialto Film, Trinidad Film.

Über 20 Jahre nach Vier Fäuste für ein Halleluja trugen Bud Spencer und Terence Hill sich mit der Idee, es noch einmal mit einem gemeinsamen Western zu versuchen. Es heißt, dass Altmeister Enzo Barboni dabei gerne Regie geführt hätte. Allerdings konnten Spencer–Hill auf der einen und Barboni auf der anderen Seite sich nicht so recht einigen, wie das geplante Projekt genau aussehen sollte. Sie gingen getrennte Wege und machten je einen eigenen Film.

Bei Spencer und Hill kam Botte di Natale alias Die Troublemaker (1994) dabei heraus, eine Art Remake von Vier Fäuste, mit dem sie an den Kinokassen scheiterten – und ihrem gemeinsamen Werk den Todesstoß versetzten. Barboni dagegen drehte Trinità & Bambino als Fortsetzung von Vier Fäuste, aber ohne die Mitwirkung von Spencer und Hill. Beide Filmprojekte waren Familienunternehmen: Bei Botte di Natale führte Terence Hill Regie, verfasste sein Sohn Jess das Drehbuch, und Bud Spencers Sohn Giuseppe Pedersoli fungierte als Produzent. Das Script von Trinità & Bambino wiederum stammt von Barbonis Sohn Marco. Mit solchen familiären Verflechtungen ist es schwerlich ein Wunder, dass beide Seiten sich nicht einig werden konnten ...

Was Vater und Sohn Barboni da umzusetzen versuchten, ist also ein Spencer-und-Hill-Film ohne Spencer und Hill. Damit ist man eigentlich schon an dem Punkt angelangt, an dem man vernünftigerweise hätte sagen müssen: Lasst es lieber. (Andererseits: Wenn in der italienischen Western-Industrie immer vernünftig gehandelt worden wäre, wohin hätte das geführt? Jedenfalls nicht zu dem Genre, das wir kennen und lieben.)

Die Barbonis hatten die Idee, einen Film über die Söhne von Trinity und Bambino zu machen, die natürlich ebenfalls Trinity und Bambino heißen und ähnliche Abenteuer wie ihre Väter erleben. Dazu sahen sie sich nach Darstellern um, die Hill und Spencer möglichst ähnlich sein sollten. Als Hill-Ersatz verfielen sie auf den TV-Schauspieler Heath Kizzier, als Spencer-Epigone musste der Football-Spieler Keith Neubert herhalten. Auffällig ist, wie Kizzier sich redlich bemüht, Hills schauspielerische quirks nachzuahmen, und damit doch immer wieder nur zu erkennen gibt, dass er eben nicht Hill ist. Aber immerhin. Neubert dagegen beschränkt sich – wenig überzeugend – darauf, steif im Bild herumzustehen und ab und an ein knurrendes Geräusch von sich zu geben.

Daran lässt sich beobachten: Hill ist natürlich, rein technisch gesehen, ein besserer Schauspieler als Spencer es war. Aber Spencer ist es, der letztlich unersetzbar ist. Tatsächlich ist Spencer ja an der Seite von Darstellern wie Giuliano Gemma und Tomas Milian aufgetreten, die Hill-ähnliche Rollen spielten. Umgekehrt wäre so etwas schwer vorstellbar. Terence Hill neben einem Spencer-Ersatz? No way.

Zur Handlung: Bambino Junior ist zum Tod am Galgen verurteilt. Trinity Junior ›leiht‹ sich die schwarze Berufskleidung des Henkers und befreit seinen Cousin. Eine kleine Auseinandersetzung des Duos mit dem großspurigen Revolvermann Stinger Smith (Jorge Bosso) wird von einem Mann namens Pablo (Renato Scarpa) beobachtet. Pablo ist der Dorfälteste von San Clementino, einem hispanischen Örtchen, das von den elf Ramírez-Brüdern (u.a. Renato D’Amore) terrorisiert wird. Er bittet die Cousins, Sheriff und Deputy von San Clementino zu werden, um die Dorfbewohner*innen vor den regelmäßigen Übergriffen zu schützen.

Wer bei diesem Plot an das Vorbild von The Magnificent Seven denkt, liegt nicht falsch. Aber auch Plot-Elemente von Lo chiamavano Trinità ... tauchen immer wieder auf. Die Leute von San Clementino mit ihrem Oberhaupt Pablo erinnern sehr an die Mormon*innen mit ihrem Anführer Tobias aus dem älteren Film. Ebenso gibt es in beiden Filmen einen reichen Pferdezüchter (hier gespielt von Siegfried Rauch) und einen Sheriff (hier gespielt von Ronald Nitschke), der hinter Bambino her ist. Die Barbonis geben sich allerdings durchaus Mühe, ihren Film nicht zu einer bloßen Kopie von Lo chiamavano Trinità ... ausarten zu lassen.

Die obligatorischen Prügelszenen sind gut choreographiert (besser als in der Parallelproduktion Botte di Natale). Auch der Wortwitz ist stellenweise nicht schlecht, etwa wenn Pablo den Namen von Stinger Smith in fehlerhaftem Englisch wie »Stinky Smith« ausspricht.¹

Eine nette Anspielung für Fans enthält Trinità & Bambino ebenfalls: Bambino Junior wird auf einem Steckbrief unter dem Namen Joe Brown gesucht. In Renegade, Barbonis letztem Film mit Hill, zieht dieser nicht in Begleitung von Spencer, sondern mit einem Pferd namens Joe Brown durch den Westen. Ein weiteres Easter Egg ist der Cameo-Auftritt von Jack Taylor, der Trinity Juniors Ziehvater spielt.

Ziemlich cringe sind die Szenen, in denen Kizzier und Neubert mit Bonita (Yvonne de Bark) und Scintilla (Fanny Cadeo), zwei Mädels aus San Clementino, flirten. Ähnlich der Score von Stefano Mainetti. Der erinnert so penetrant an die Erkennungsmelodien von Sitcoms oder TV-Cartoons, dass man manchmal befürchtet, die Charaktere würden anfangen, in die Kamera zu zwinkern und über ihre eigenen Witze zu lachen.

Insgesamt würde ich sagen: Trinità & Bambino hätte ein relativ gelungener Versuch sein können, den Prügelwestern der siebziger Jahre zu erneuern. Alle Stärken und Schwächen des Films ändern aber nichts an dem Grundproblem, dass hier zwei Typen 100 Minuten lang so tun, als wären sie Bud Spencer und Terence Hill, es aber nicht sind. Das ist der Punkt, an dem die Sache unweigerlich scheitert und der Film misslungen ist.

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¹ Ich muss zugeben, ich mag simplen, effektiven Humor. Sonst wäre ich ja auch kein Spencer-und-Hill-Fan.

8.11.24

Geronimo (1962)

Deutscher Titel: Das letzte Kommando / Sein letztes Kommando · Regie: Arnold Laven · Drehbuch: Pat Fielder · Musik: Hugo Friedhofer · Kamera: Alex Phillips · Schnitt: Marsh Hendry · Produktion: Levy-Gardner-Laven.

Geronimo (Chuck Connors) ergibt sich gemeinsam mit den letzten freien Apache der US-Kavallerie und lässt sich ins Reservat San Carlos in Arizona führen. Dort werden ihm und seinen Leuten gleich bei der Ankunft die Pferde abgenommen. Die bräuchten sie jetzt nicht mehr, erklärt der Indianeragent Burns (John Anderson), denn fortan würden sie vom Maisanbau leben. In San Carlos trifft Geronimo seinen alten Kumpel Mangus (Ross Martin), der sich mit den neuen Verhältnissen arrangieren will, und lernt Teela (Kamala Devi) kennen, die im Reservat aufgewachsen ist. Teela liebt Bücher und versucht, unter den Apache eine Art Alphabetisierungskampagne durchzuführen. Sie ist überzeugt, dass die Apache den Respekt der Weißen gewinnen würden, wenn sie Lesen und Schreiben lernen. Geronimo versetzt das alles in eine äußerst missmutige Stimmung.

Seine schlechte Laune ist auch alles andere als unbegründet. Burns lässt sich von dem Makler Kincaide (Joe Higgins) bestechen und gibt das Farmland der Apache zur Weidenutzung durch weiße Rancher frei. Als Gerüchte über Burns’ Korruption unter den Apache die Runde machen, sucht Geronimo den Agenten nachts in seinem Haus auf und nagelt ihm die Hand mit einem Brieföffner auf dem Schreibtisch fest. Anschließend holt er sich mit einer kleinen Gruppe rebellischer Apache, darunter der desillusionierte Mangus, die beschlagnahmten Pferde zurück und flieht nach Mexiko. Teela weigert sich mitzukommen und bleibt im Reservat. Mit der Verfolgung der Apache wird der rassistische Kavallerieoffizier Maynard (Pat Conway) beauftragt, der in Burns’ korrupte Machenschaften verwickelt ist. Es beginnt eine Hetzjagd, denn den Apache mangelt es an Munition und Lebensmitteln. Doch ihr Kampfeswille ist ungebrochen.

Auf dem Weg nach Mexiko beobachtet Geronimo eine weiße Siedlerin (Nancy Rodman), die ihren Sohn anhält, seine Schreibübungen zu machen. Das erinnert ihn an Teela und bringt ihn auf die Idee, eine bürgerliche Kleinfamilie zu gründen. Er schleicht sich ins Reservat, und diesmal ist Teela bereit, ihn zu begleiten – auf Basis eines Kompromisses: Die Apache sollen frei sein, aber trotzdem Lesen und Schreiben lernen.

John Fords Stagecoach ist vielleicht der beste Western aller Zeiten. Zugleich schrieb er ein fatales Bild Geronimos und der Apache fest: Während die höchst unterschiedlichen Individuen im Innern der dahinrasenden Postkutsche sich im Laufe des Films zu einer solidarischen Gesellschaft zusammenfinden, treten die Apache, die die Postkutsche verfolgen, erst gar nicht als Individuen in Erscheinung. Sie sind ein Teil der feindseligen Natur, die die Menschen in der Postkutsche bedroht, nicht anders als der eisige Wind, der Staub und der Wassermangel.

Auch in der Stummfilmzeit gab es schon zahlreiche Produktionen, welche die Indigenen Nordamerikas auf ähnliche Weise darstellten. Der älteste erhaltene Western überhaupt, Kidnapping by Indians (1899), zeigt den Versuch indigener Krieger, eine weiße Frau zu entführen. Es ist der erste von hunderten Filmen, in denen weiße Weiblichkeit durch Indigene bedroht wird. Aber die Sache war damals noch nicht ganz ausgemacht, denn auf der anderen Seite gab es indigene Filmemacher wie Edwin Carewe, und auch indigene Leinwandstars wie Red Wing, die eine eigene Perspektive einbringen konnten. Die frühe Tonfilmzeit machte dieser Ambiguität ein Ende. Indigene Figuren, nun (bis auf wenige Ausnahmen) von weißen Darsteller*innen in Redface gespielt, wurden auf die Rollen des namenlosen Feindes, des edlen Wilden oder des unterwürfigen Helfers an der Seite weißer Pioniersfiguren reduziert.

Erst in den fünfziger Jahren regte sich in Teilen Hollywoods das schlechte Gewissen. Es entstanden »Indianerwestern« mit dem Anspruch, das stereotype Bild zu korrigieren – wobei nicht selten negative Stereotypen durch positive ersetzt wurden. Das betraf auch die Casting-Politik. Indigene Charaktere, die Sympathie erregen sollten, wurden mit weißen Publikumslieblingen wie Burt Lancaster, Audrey Hepburn oder Steve McQueen besetzt. Aus heutiger Sicht führt das auch bei solchen Filmen, die es mit ihrer Thematisierung des am indigenen Amerika begangenen Unrechts einigermaßen ernst meinen, zu einem gewissen Cringe-Faktor.

So auch bei Arnold Lavens Film. Die Rolle des Geronimo von einem blauäugigen Irish American wie Chuck Connors spielen zu lassen, ist schon eine ziemlich eigentümliche Entscheidung. Die weibliche Hauptrolle der Teela wurde hingegen mit der britischen Schauspielerin Kamala Devi besetzt, die indische Wurzeln hatte.¹ Wenn es einen Anlass für den »White people, still not knowing what an Indian is after 500 years«-Witz braucht, hier ist er.

Handelt es sich bei Geronimo denn um einen Film, der seine Thematik ernst meint? Es ist schwer zu sagen, nicht nur wegen der Besetzung der Hauptrollen. Einerseits geht der Film, gemessen an den Möglichkeiten des Jahres 1962, ziemlich weit, was die Charakterisierung seiner Schurken betrifft. Der Indianeragent Burns wird als bigotter Heuchler gezeigt, der mit der Bibel wedelnd die Apache mit frommen Sprüchen traktiert und zugleich Bestechungsgelder annimmt. Die Szene, in der Geronimo ihm die Hand, in der er normalerweise die Bibel hält, mit dem Brieföffner durchbohrt, ist deshalb sehr befriedigend. Auch der hasserfüllte Kavalleriehauptmann Maynard kriegt sein Fett weg. Der Dritte im Bunde der Antagonisten ist Henry (Claudio Brook), der glattzüngige Store-Betreiber des Reservats, dessen vorzüglicher Darsteller ruhig ein paar Szenen mehr haben könnte.²

Was dem Film bei seinen Schurken gelingt, misslingt ihm auf der Seite des Helden und seiner Geliebten. Geronimo lässt er ständig Sätze sagen, die sehr nach den Werten des liberalen Hollywood klingen, aber nicht gerade nach dem listigen Apache-Strategen, der drei Jahrzehnte lang die mexikanische und die US-Armee an der Nase herumführte. Ausgemacht komisch wird es, sobald Geronimo und Teela ein Paar sind. Ab da verwandeln sich weite Teile der Handlung in eine Art Tarzan-und-Jane-Geschichte, indem etwa Teela ihrem ahnungslosen bon sauvage erklärt, wie menschliche Fortpflanzung funktioniert – sie hat es in einem Buch gelesen. Bei Szenen wie dieser frage ich mich, ob sie nicht auch schon das Publikum von 1962 unwillkürlich zum Lachen brachten.

Am Ende geht im Film übrigens alles gut aus. Geronimos Verfolger geraten unter politischen Druck aus Washington, und ein junger Kavallerieleutnant (Adam West) überbringt einen neuen, besseren Friedensvertrag. Leider lief es in Wirklichkeit keineswegs so versöhnlich ab: Geronimos Leute wurden nach seiner endgültigen Kapitulation nach Florida deportiert, wo viele von ihnen sich mit Tuberkulose ansteckten und starben. Geronimo selber musste, ebenfalls in Florida, eine Haftstrafe absitzen. Dabei wurde er wie eine Ein-Mann-Völkerschau behandelt. Wer immer den berühmten Apache sehen wollte, wurde zu seiner Zelle vorgelassen und durfte ihn anglotzen.

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¹ Anders als für Geronimo, Mangus und ihren Verfolger Captain Maynard (der in Wirklichkeit Crawford hieß) gibt es für Teela meines Wissens kein direktes historisches Vorbild. Geronimo war im Laufe seines Lebens mit verschiedenen Frauen verheiratet.

² Geronimo wurde in Mexiko gedreht, und es treten neben Claudio Brook noch weitere mexikanische Darsteller*innen auf, darunter Eduardo Noriega, Armando Silvestre und Mario Navarro.

30.10.24

Il momento di uccidere (1968)

Deutscher Titel: Django – Ein Sarg voll Blut · Regie: Giuliano Carnimeo · Drehbuch: Tito Carpi, Bruno Leder, Francesco Scardamaglia · Musik: Francesco De Masi · Kamera: Stelvio Massi · Schnitt: Renato Cinquini, Ornella Micheli · Produktion: Produzioni Cinematografiche Europee, Terra Filmkunst.

Il momento di uccidere steht zu Unrecht im Ruf, ein langweiliger Film zu sein. Langweilige Italo-Western gibt es zu hunderten, aber dieser gehört nicht dazu. Es handelt es sich um Giuliano Carnimeos Regie-Debüt aus dem Jahre 1968, oder besser gesagt: sein echtes Debüt, denn Carnimeo wurde zuvor schon als Co-Regisseur von George Shermans Komödie Panic Button geführt. Il momento di uccidere ist ein Gothic Spaghetti, der zwar seine schwachen Momente hat (und welcher Euro-Western hat die nicht), aber immer interessant ist. Ihn als langweilig abzutun, wird ihm nicht gerecht.

Ein Jahr nach dem Ende des Bürgerkriegs sind die Revolverhelden Lord (George Hilton) und Bull¹ (Walter Barnes) unterwegs, um sich mit Richter Warren (Rudolf Schündler) zu treffen. Der erzählt ihnen eine unglaubliche Geschichte: Kurz vor Kriegsende geriet ein sezessionistischer Colonel an Goldbarren im Wert von 500.000 Dollar aus dem konföderierten Staatsschatz und verbarg sie an einem unbekannten Ort. Obwohl die Unionstruppen versuchten, ihm sein Geheimnis mit Gewalt zu entlocken, starb der Colonel, ohne das genaue Versteck des Schatzes verraten zu haben. Mehr zu erfahren ist nur mit Hilfe Reginas (Loni von Friedl), der Tochter des Colonels, und eines Gedichtes namens Camelot. Doch Regina, die im Rollstuhl sitzt, ist spurlos verschwunden.

Der Richter phantasiert davon, mit Hilfe des Goldes die Confederacy erneut erstehen zu lassen. Bevor er mehr erzählen kann, wird er aus dem Hinterhalt erschossen. Lord und Bull haben vermutlich prosaischere Motive als Warren, was das Gold betrifft, doch auch sie sind in Gefahr: Eine Rotte von Pistoleros ist hinter ihnen her und lauert ihnen immer wieder auf. Die Pistoleros stehen in den Diensten des aristokratischen Ranchers Forrester (Arturo Dominici) und seines Dandy-Sprösslings Jason (Horst Frank). Forrester ist kein anderer als der Bruder des verstorbenen Colonels. Bruder und Neffe sind ebenfalls hinter dem verlorenen Gold her und stehen im Verdacht, Regina entführt zu haben.

Lord und Bull schleichen sich nachts in das Anwesen der Forresters und finden in der Bibliothek tatsächlich ein Bändchen mit dem Titel Camelot. Nachdem sie Jason Forrester aus der Reserve locken, indem sie ihn gezielt demütigen, gelingt es ihnen auch, die gekidnappte Regina in ihrem Versteck aufzuspüren. Das Katz-und-Maus-Spiel mit den Forresters spitzt sich zu, bis es zur finalen Konfrontation in einem Schlachthaus kommt.²

Was bei Il momento di uccidere am meisten ins Auge sticht, ist die Arbeit des Kameramannes Stelvio Massi. Der erhielt viel Raum, um mit den ungewöhnlichen Einstellungen und Perspektiven zu experimentieren, die man von ihm kennt. Zu einem Streifen wie diesen, der überwiegend in Innenräumen und auf nächtlichen Straßen spielt, passt das perfekt. Auch Francesco De Masis Score fügt sich gut in das Sujet des Films ein.

Dominici und Frank sind als Vater-und-Sohn-Gespann mit leicht psychopathischem Touch und ausgeprägt ödipaler Beziehung (in der das Gold die Rolle der abwesenden Mutter einnimmt) mehr als angemessen besetzt. Weniger gelungen ist die Dynamik zwischen Hilton und Barnes. Letzterer wirkt etwas fehl am Platze in seiner Rolle als bärbeißiger Sidekick, oder besser gesagt: Zwischen ihm und Hilton stimmt die Chemie einfach nicht richtig. Im Grunde hätte Hilton den Film als alleiniger Protagonist bestreiten können, ohne das etwas gefehlt hätte.

Aber Il momento di uccidere ist ein Western mit Krimi-Handlung, und das bedeutete für Regisseur Carnimeo, dass die Hauptfigur die Rolle des Privatdetektivs einnimmt und einen Begleiter braucht, einen foil character nach dem Vorbild von Dr. Watson. Das ist völlig in Ordnung, es ist nur in diesem Film nicht sonderlich gut umgesetzt.³ Übrigens ist Il momento eine deutsch-italienische Koproduktion, und nördlich der Alpen zeigte man wenig Verständnis für Carnimeos Ideen, sondern setzte lieber auf Nummer sicher. Der Film wurde als Django-Streifen vermarktet und die Werbematerialien stellten George Hilton als Star in den Mittelpunkt.

Bemerkenswert ist, dass Walter Barnes in diesem Film eine Melone trägt und in einer Szene eine Faustschlagtechnik anwendet, die wenige Jahre später unter dem Namen »der Dampfhammer« ikonische Bedeutung erlangen sollte. Gut vorstellbar, dass ein Kameramann namens Enzo Barboni diesen Film sah und daraus ein paar Ideen für sein zukünftiges Schaffen gewann. Das sollte aber (ebensowenig wie der eingangs angesprochene Vorwurf der Langweiligkeit) dazu verleiten, den Film als bloßen Vorläufer von Trinità und Bambino abzutun. Il momento di uccidere ist, wie gesagt, ein nicht immer gelungener, aber immer interessanter Gothic Spaghetti von großer Eigenständigkeit.

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¹ Was Bull betrifft, müsste man eigentlich von einem Schrotflintenhelden sprechen, denn das ist seine bevorzugte Waffe.

² Man beachte die Namen wie Camelot, Regina und Forrester: Die Königin (von Camelot?) wird von einem Förster entführt und gefangen gehalten – wie in einem Märchen. In der Artussage wird Königin Guinevere von Maleagant entführt und von Lancelot befreit. Für solche überraschenden Anspielungen liebe ich das Spaghetti-Genre. Allerdings: Wer glaubt, in Il momento di uccidere würde es zu einer Liebesgeschichte à la Lancelot und Guinevere kommen, wird eine Überraschung erleben.

³ Im Jahr darauf versuchte Carnimeo es in Sono Sartana, il vostro becchino erneut mit dieser Formel. Gianni Garko übernahm die Sherlock-, Frank Wolff die Watson-Rolle. Auch hier war Tito Carpi als Drehbuchautor beteiligt.

25.10.24

The Man Who Came Back (2008)

Deutscher Titel: Slave Story / Der Mann, der Rache nahm · Regie: Glen Pitre · Drehbuch: Chuck Walker · Musik: Phil Marshall · Kamera: Stoeps Langensteiner · Schnitt: Matthew Booth, Simon Carmody · Produktion: Gudegast Braeden Productions.

Thibodaux, Louisiana, Jahre nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs: Die Zeit der Reconstruction neigt sich dem Ende zu. Die weiße Pflanzeraristokratie hat ihre Macht erneut konsolidiert. Auf den Zuckerrohrplantagen arbeitet die schwarze Bevölkerung unter Bedingungen, die sich kaum von der Sklaverei unterscheiden.

Die Arbeiter*innen auf der Plantage von Richter Duke (George Kennedy) werden nicht in baren Dollars bezahlt, sondern in Gutscheinen, die sie nur in dem überteuerten company store des Richters einlösen können. Wenn sie die Plantage verlassen wollen, um sich woanders Arbeit zu suchen, werden sie mit Gewalt daran gehindert. Als der Richter erneut die Lebensmittelpreise anzieht, treten die Arbeiter*innen in den Streik.

Als der weiße Vorarbeiter Reese Paxton (Eric Braeden) versucht, mäßigend auf den Boss einzuwirken, wird er kurzerhand gefeuert. Billy Duke (James Patrick Stuart), der Sohn des Richters, lyncht gemeinsam mit dem Sheriff (Armand Assante) und dem Pfarrer (Al Hayter) einen der streikenden Arbeiter. Anschließend beschuldigt er Reese, den Lynchmord begangen zu haben. Reese wird von einem kangaroo court unter dem Vorsitz des Richters angeklagt und aufgrund der Falschaussage der Pflanzersfrau Kate (Sean Young) verurteilt.

Reese wird in ein Straflager inmitten der Sümpfe verschleppt, wo der sadistische Gefängnisdirektor (Peter Jason) über Leben und Tod herrscht. Nachdem er Folter und Qualen aller Art überstehen muss, gelingt es Reese zu fliehen. Er kehrt nach Thibodaux zurück, wo Billy Duke inzwischen zum Bürgermeister gewählt wurde. Und Reese nimmt Rache: an den Dukes, an der meineidigen Kate, am Sheriff und am Pfarrer.

Wenn man will, kann man mit The Man Who Came Back Bingo spielen: Exploitation? Check. Es gibt nicht nur ausgedehnte Peitsch- und Lynchszenen auf der Plantage, sondern es wird auch genüßlich gezeigt, wie Reese im Straflager geprügelt, angepinkelt, an den Armen aufgehängt und beinahe ertränkt wird. So unglaubwürdige wie vorhersehbare Rachegeschichte? Check. Schließlich wird Reese von einem alternden Soap-Opera-Darsteller gespielt, bei dem man sich schon fragen kann, woher sein Charakter die Skills zum Überleben hat, die er für all das benötigt. White saviour narrative? Check. Der weiße Vorarbeiter ist der allein handlungsmächtige Held. 

The Man Who Came Back basiert lose auf einem historischen Ereignis: Im November 1887 kam es zu einem organisierten Massenstreik von schwarzen Arbeiter*innen auf louisianischen Zuckerrohrplantagen. 10.000 Menschen legten die Arbeit nieder. Die Pflanzeraristokratie reagierte mit brutaler Repression. Der Gouverneur Louisianas, selber ein Pflanzer, mobilisierte Militär gegen die Streikenden. In der Stadt Thibodaux organisierte Richter Taylor Beattie das Peace and Order Committee, eine weiße Miliz, die 50 Menschen ermordete. Beattie ist das Vorbild für den Richter Duke des Films. Mit dem historischen Ablauf hat die Darstellung des Films allerdings kaum etwas gemein. Die Geschichte gibt lediglich den Hintergrund für die generische Rache-Story ab und legt wenig Wert auf Authentizität.

The Man Who Came Back ist also kein guter Film. Wirklich nicht. Er ist allerdings auch (in einem bestimmten Sinn) kein völlig schlechter Film. Dann nämlich, wenn man ihn mit zeitgenössischen Dixie-Geschichtspornos wie The Last Confederate (2007) oder Field of Lost Shoes (2014) vergleicht. Diese Filme sind nichts als lilienweißer Revisionismus, die dem konservativen Amerika mit ihrer Verharmlosung der Sklaverei schmeicheln wollen. Angesichts der Tatsache, dass es solche Machwerke überhaupt gibt, muss man The Man Who Came Back zugute halten: Er versucht wenigstens, sich auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen. Die Dukes, der Sheriff, der Pfarrer und der Knastdirektor sind rassistische, ausbeuterische, brutale Arschlöcher und werden auch so gezeigt – ein von der neo-konföderalen Ideologie geprägter Film hätte hingegen versucht, sie als Sympathieträger darzustellen. 

Interessanterweise ist The Man Who Came Back nicht anders als die genannten Lost-Cause-Filme ein vanity project, das von Hauptdarsteller Braeden gemeinsam mit seinem Sohn Christian Gudegast produziert wurde. Offenbar wollte Braeden auf seine alten Tage unbedingt noch mal einen athletischen Helden mimen. Um zusätzlich einen einigermaßen bekannten Namen vor das Braeden-Vehikel zu spannen, wurde Billy Zane engagiert, der eine komplett überflüssige Nebenrolle als einziger Yankee von Thibodaux spielt. Aber ich habe lieber ein vanity project, das sich (bei allen Unzulänglichkeiten) gegen die Ausbeutung und Versklavung von Menschen stellt, als eines, das Sklaverei und Herrenmenschentum glorifiziert.

10.4.24

Die blutigen Geier von Alaska (1973)

Inhaltshinweise: Sexuelle Gewalt, Tierquälerei.

Alternativtitel: Die Höllenhunde von Alaska / Die Geier vom Shilo River · Regie: Harald Reinl · Drehbuch: Kurt Nachmann · Musik: Bruno Nicolai · Kamera: Heinz Hölscher · Schnitt: Eva Zeyn · Produktion: Lisa Film.

The Call of the Wild (1972) von Ken Annakin machte es möglich: Er löste den letzten großen Trend innerhalb des Euro-Westerns aus. Annakins Film erwies sich in Italien als Kino-Erfolg, und die italienische Filmindustrie tat das, was sie am liebsten tat – sie kopierte, was das Zeug hielt. Den Anfang machte Lucio Fulci mit Zanna Bianca (1973) und Il ritorno di Zanna Bianca (1974). Diesen Filmen folgten inoffizielle Fortsetzungen sowie weitere Produktionen, die entweder Werke von Jack London verfilmten oder sich als solche Verfilmungen ausgaben.¹ Noch schneller als die Italiener*innen waren in diesem Fall allerdings die Westdeutschen. Schon 1972 wartete Harald Reinl mit Der Schrei der schwarzen Wölfe auf, dem im Jahr darauf Die blutigen Geier von Alaska folgte.

Die Formelhaftigkeit dieser London-Verfilmungen (und Pseudo-London-Verfilmungen) fällt sofort ins Auge. Es ist selbst für Genre-Verhältnisse ungewöhnlich, mit welcher Sturheit an dem stets gleichen Grundrezept festgehalten wird: Es gibt immer ein krankes Kind, einen treuen Hund und einen raubeinigen Beschützer. Der Handlungsort ist Alaska zur Zeit des Goldrauschs. Und meistens spielt Raimund Harmstorf mit. Die zur Schau getragene Kinderfreundlichkeit dieser Filme wird nicht selten dadurch konterkariert, dass sie recht brutale Szenen mit Tierkämpfen enthalten. Ich gestehe es offen – ich bin alles andere als ein Fan dieses Subgenres mit seiner Mischung aus Sentimentalität und Grausamkeit.

Die blutigen Geier von Alaska basiert nicht direkt auf Jack London, folgt aber getreu der beschriebenen Formel: Der Goldsucher Sanders (Kurt Bülau) hat auf indigenem Land eine Goldader gefunden, die auszubeuten er fest entschlossen ist. Bei einem Unfall in der Grube verletzen sich Sanders und sein Sohn Billy (Ivan Stimac) schwer. Billy verfällt in ein starkes Fieber. Der Jäger Don Rutland (Doug McClure) will den Jungen zu einem Arzt bringen.

Zur gleichen Zeit wird in der Prospektorensiedlung Camp Kino ein Transport vorbereitet, der die gesammelten Goldfunde des Umkreises nach Paradise Creek bringen soll. Sheriff Cotton und Deputy Buffins (Miha Baloh) reiten als Eskorte mit. Rutland trifft auf den Transport, vertraut ihm den kranken Billy an und reitet zurück zu Sanders. Banditen unter Mark Monty (Harald Leipnitz) überfallen den Transport und töten die Begleitmannschaft bis auf Buffins, der mit den Banditen unter einer Decke steckt. Billy, der sich im Fieberwahn nicht an seinen Namen erinnern kann, wird von Monty in das Lager der Banditen verschleppt. 

Nachdem Sanders von Indigenen getötet wurde, die (sehr berechtigte) Einwände gegen seine Goldschürferei auf ihrem Land hatten, begibt Rutland sich nach Camp Kino. Dort amtiert Buffins als neuer Sheriff und sabotiert die Suche nach dem geraubten Gold. Rutland schließt sich zusammen mit Rose Cotton (Kristina Nel), der Tochter des beim Überfall ermordeten Sheriffs, und Ham-a-Ham (Roberto Blanco), einem Boxer mit übermenschlichen Kräften. Gemeinsam mit Buck, dem Hund der Sanders, machen sie sich auf die Suche nach den Banditen und dem verschwundenen Billy. Buffins sperrt Rutland unter falschen Vorwürfen ins Gefängnis.

Monty und sein Spießgeselle Lapporte (Klaus Löwitsch) kommen nach Camp Kino und erklären, unverhofft einen reichhaltigen Goldfund gemacht zu haben. Mit dieser Behauptung wollen sie ihren Überfall auf den Goldtransport verschleiern. Es kommt zu einem allgemeinen Besäufnis im Saloon. Monty versucht, die Saloondame Betty (Angelica Ott) zu vergewaltigen, und ersticht ihren Chef, Captain Brandy (Heinz Reincke), als dieser dazwischengeht. Rutland, der sich aus dem Gefängnis befreien konnte, konfrontiert Monty, Lapporte und Buffins.

Diesem Film merkt man in jeder Hinsicht die Agonie an, in der der bundesdeutsche Western à la Reinl sich in den siebziger Jahren wand: Die schwarzen Langhaarperücken sitzen noch schlechter als zehn Jahre zuvor. In einer Einstellung, die zu einer Dynamit-Explosion hinführt, sieht man die Drähte des Pyrotechnikers mitten im Bild. Doug McClure ist als Ersatz-Harmstorf alles andere als überzeugend. Roberto Blanco darf ein antirassistisches Statement abgeben, das sofort dadurch konterkariert wird, dass sein Charakter den lächerlichen Namen Ham-a-Ham trägt. Und Miha Baloh spielt den verräterischen Deputy mit einer derart gelangweilten Miene, als wolle er stumm gegen den Film und sein Drehbuch protestieren.

Überhaupt, das Drehbuch. Es wartet mit einem Deus ex machina auf: Als der sterbenskranke Billy von den Banditen verschleppt wird, haben die rein zufällig einen Arzt in ihrem Lager, der Billys Fieber lindert. Am Ende artet es in einen vollendeten idiot plot aus: Als die Banditen mit ihrer hanebüchenen Geschichte vom Goldfund, der zeitgleich mit dem Goldraub stattfand, in der Siedlung auftauchen, erregen sie kaum einen Verdacht. Mit den kriminalistischen Fähigkeiten der Leute von Camp Kino ist es offenbar nicht weit her – eigentlich perfekt für die Banditen. Aber Monty, ihr Anführer, lässt sich volllaufen und begeht einen Vergewaltigungsversuch und einen Mord, so dass die Bande unweigerlich auffliegt. Ist das einfältig oder geschmacklos? Es ist beides.

Es gibt wirklich nicht viel, was sich Wertschätzendes über Die blutigen Geier von Alaska sagen lässt. Letztlich sind es zwei Dinge: Die Landschaftsaufnahmen, die in Österreich und Jugoslawien gefilmt wurden, sind grandios – wie immer bei Reinl. In ihnen zeigt sich das bleibende Talent eines Regisseurs, der ansonsten sein Pulver längst verschossen hatte. Und mit Kristina Nel als Sheriffstochter auf der Suche nach ihrem ermordeten Vater gibt es (für Genre-Verhältnisse) eine ziemlich aktive Frauenfigur, die nicht mal gerettet werden muss. Ein anderer Film wäre durch Nels Rolle besser geworden. Dieser leider nicht.

An den Kinokassen fiel der Film durch. Für das westdeutsche Fernsehen wurde er in Die Geier vom Shilo River umbenannt, in der Hoffnung, er würde für ein Spin-off der Serie Die Leute von der Shiloh Ranch gehalten, in der Doug McClure ebenfalls mitspielte. Die DDR zeigte den Streifen unter dem Namen Die Höllenhunde von Alaska. Wenig überraschend änderten die alternativen Titel aber auch nichts an dem Schlamassel, das dieser Film darstellt.

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¹ Das ganze wiederholte sich Anfang der neunziger Jahre noch mal in kleinerem Maßstab anlässlich des Disney-Films White Fang (1991).

2.4.24

Die Hölle von Manitoba (1965)

Alternativtitel: Die weiße Hölle von Manitoba · Regie: Sheldon Reynolds · Drehbuch: Edward Di Lorenzo, Fernando Lamas, F. X. Toole · Musik: Angel Arteaga · Kamera: Federico G. Larraya · Schnitt: Teresa Alcocer, Roberto Cinquini · Produktion: CCC Film, Midega Film.

Nachdem Atze Brauner aus schierer Verzweiflung darüber, nicht mehr Karl-May-Stoffe verfilmen zu können, 1964 sogar Freddy Quinn in den Wilden Westen geschickt hatte, schien ihm im Jahr darauf endlich das Glück zu winken: Pierre Brice und Lex Barker standen ihm beide für einen Film zur Verfügung, wenn auch in Nicht-May-Rollen.

In Glory City soll der Jahrestag der Stadtgründung mit einem Zweikampf gefeiert werden: Zwei Revolverhelden treten gegeneinander an, dem Sieger winkt ein Preisgeld. Es gibt nur ein Problem: Reese (Pierre Brice) hat einen der Kontrahenten erschossen. Also macht er sich auf den Weg, den Platz des Toten einzunehmen. Im Nachbarkaff Powder City schwelt unterdessen ein Konflikt zwischen zwei Ranchern. Seth Grande (George Rigaud) hat sein Land für die Besiedelung durch Homesteader geöffnet. Jack Villaine (Gérard Tichy) hält gar nichts von diesem neumodischen Unsinn und setzt seine sieben Pistoleros (u.a. Aldo Sambrell) auf Grande an.

Als Reese in Powder City eintrifft, um dort auf den Tag des Zweikampfs zu warten, verbreitet sich das Gerücht, er sei von Grande zu seinem Schutz angeheuert worden. Da Reese verschiedene Zusammenstöße mit Villaine und seinen Pistoleros hat, schlägt er sich auch tatsächlich auf Grandes Seite. Deutlich zurückhaltender ist Brenner (Lex Barker), der zweite Wettbewerber. Ihn verbindet eine unglückliche vergangene Liebesgeschichte mit Grandes Tochter Jade (Marianne Koch). In der Gegenwart dient Jade Villaine als Sekretärin/Geliebte, in der Hoffnung, so ihren Vater schützen zu können. Schließlich trifft auch Brenner die Entscheidung, es mit Villaine aufzunehmen. So kommt es, dass Reese und Brenner, die sich in wenigen Tagen in einem Kampf auf Leben und Tod gegenüber stehen sollen, jetzt Seite and Seite kämpfen.

Laut IMDb lief der Film in Österreich unter dem Titel Die weiße Hölle von Manitoba im Kino, offenbar in der Annahme, dass in einem in Kanada spielenden Streifen tiefer Schnee liegen müsste. Weit gefehlt, im Film ist keine einzige Schneeflocke zu sehen. Das wäre auch schwer möglich gewesen, denn die Dreharbeiten fanden im Frühjahr ’65 in Spanien statt. Tatsächlich habe ich die Vermutung, dass die Macher*innen dieses Films rein zufällig auf den Namen gekommen sind – und sich nicht viel dabei gedacht haben. Womöglich nahmen sie an, dass Manitoba in den USA liegt? Irgendwelche Hinweise auf Kanada als Handlungsort sind mir jedenfalls nicht aufgefallen.

Die Hölle von Manitoba ist ein vor sich hin plätschernder Film, der mit Actionszenen sehr sparsam umgeht. Brice und Barker (aber insbesondere Brice) machen den Eindruck, als seien sie erleichtert, mal nicht Winnetou und Shatterhand spielen zu müssen. Andererseits wirken sie aber auch nicht so, als seien sie hier mit vollem Einsatz bei der Sache, sondern spielen ihre Rollen eher auf routiniert-beiläufige Weise. Barker bekommt ein paar Szenen, in denen innere Konflikte angedeutet werden. Brice bleibt dagegen weitgehend in der generischen Rolle des mysteriösen, ironisch lächelnden Revolvermanns aus der Fremde.

Rigaud und Tichy machen einen ganz ordentlichen Job als verfeindete Rancher mit sprechenden Namen. Am interessantesten (interessanter auch als die beiden männlichen Hauptrollen) ist Marianne Koch. Als Jade lässt sie sich auf den Ekelsack Villaine ein, um das Leben ihres Vaters zu retten. Der heißt ihr Verhalten natürlich nicht gut, bittet sie am Ende aber immerhin um Verzeihung für seine Verständnislosigkeit. Zugleich muss Jade auch noch damit  klarkommen, dass ihr Ex-Lover Brenner wieder da ist. Gar nicht so einfach. Kein Wunder, dass Jade öfter zu sehen ist, wie sie mit dem Barkeeper Charly (Wolfgang Lukschy) zusammensitzt und zur Beruhigung einen Whisky kippt.

Neben Koch und Lukschy sind mit Aldo Sambrell und Antonio Molino Rojo noch zwei weitere Mitglieder des Casts von Für eine Handvoll Dollar zu sehen. Da Leones Film in den USA erst 1966 in den Kinos lief, bekam das dortige Publikum Koch zuerst in Die Hölle von Manitoba zu sehen. Was nicht das schlechteste ist. Denn während Für eine Handvoll Dollar verdientermaßen zum Klassiker und Die Hölle von Manitoba vergessen wurde, ist es doch so, dass Marianne Koch in diesem Film redet und Agency hat, während sie in jenem völlig in der Opferrolle bleibt, vom Protagonisten gerettet werden muss und dabei kaum ein Wort sagen darf. Der Kontrast ist auffällig. Und Koch ist es, die Die Hölle von Manitoba ein Stück weit sehens- und erinnernswert macht.

Kameramann Federico Larraya filmt gern Alltagsszenen und scheinbar bedeutungslose Details (z.B. eine Frau, die den Boardwalk fegt; ein Kind, das mit einer Marionette spielt). Gelegentlich experimentiert er mit ungewöhnlichen Perspektiven. Richtig austoben kann er sich beim Fotografieren der antiklimaktisch erzählten Schlussszene mit dem Schaukampf, in der die nach Blut lechzenden Bürger*innen von Glory City sich auf den Balkons und Straßen drängen.

Bemerkenswert ist auch, dass Die Hölle von Manitoba komplett darauf verzichtet, die Formel der Karl-May-Filme zu kopieren. Die Idee, dass eine Stadt ihren Jahrestag mit einem blutigen Gladiatorenkampf feiert, könnte kaum weiter weg davon sein. Einzig die Tatsache, dass Lex Barker auch hier keinen Hut trägt, lässt sich als Anspielung auf seine Shatterhand-Rolle verstehen.

Insgesamt hinterlässt Die Hölle von Manitoba den Eindruck eines Films, der unentschlossen bleibt. Er will sichtlich ein konventioneller Western mit konventionellen Themen (Konflikt zwischen zwei Ranchern, Partnerschaft zweier ungleicher Revolverhelden) sein. Andererseits kommt er mit ›ungewöhnlichen‹ Elementen daher, die den Einfluss von Filmen wie Invitation to a Gunfighter (1964) vermuten lassen. Man weiß nicht so recht, wie man sich diesen Film ansehen soll, auf welcher Seite der Schwerpunkt liegt, denn keine von beiden wird konsequent durchgespielt. Eine stärkere Regie hätte vielleicht für eine Entscheidung sorgen können. Aber so oder so: Wegen Marianne Koch habe ich Die Hölle von Manitoba nicht ungern gesehen.

26.3.24

Un minuto per pregare, un istante per morire (1968)

Alternativtitel: Dove vai ti ammazzo · Deutscher Titel: Mehr tot als lebendig · Regie: Franco Giraldi · Drehbuch: Ugo Liberatore · Musik: Carlo Rustichelli · Kamera: Aiace Parolin · Schnitt: Alberto Gallitti · Produktion: Documento Film.

Clay McCord (Alex Cord) ist mit seinem Kumpel Fred Duskin (Giampiero Albertini) auf der Flucht vor dem Gesetz. McCord ist ein tödlicher Revolverschütze, aber er leidet an plötzlich auftretenden Krämpfen im rechten Arm, die ihn immer wieder kampfunfähig machen. Er glaubt, dieses Leiden von seinem Vater, einem Epileptiker, geerbt zu haben. Als Kind sah er hilflos zu, wie sein Vater an den Folgen eines epileptischen Anfalls starb.

McCord und Duskin sind auf dem Weg zu Padre Santana (Daniel Martín), von dem sie sich Linderung für McCords Krankheit erhoffen. Der Franziskanermönch wurde allerdings von zwei Kopfgeldjägern, Sean (Antonio Molino Rojo) und Jesús María (Aldo Sambrell), ermordet. Diese verschanzen sich in Santanas Kirche, und lauern den beiden Outlaws auf. McCord macht jedoch kurzen Prozess mit ihnen. Duskin empfiehlt McCord, wegen seines Arms lieber einen Arzt aufzusuchen.

So reitet McCord nach Escondido, wo es einen Arzt geben soll. Escondido ist eine Art Refugium für Ausgestoßene und Verfemte, wo anstelle des Gesetzes der grausame Kraut (Mario Brega) und seine Bande das Sagen haben. Die verfallende Ortschaft wird von den Deputies des Marshals von Tuscosa, Roy W. Colby (Arthur Kennedy), belagert. Als einige Bewohner Escondidos versuchen, unter weißer Flagge einen Wagen voller Lebensmittel in die Stadt zu geleiten, werden sie von den Deputies kurzerhand massakriert. McCord nimmt blutige Rache an den Gesetzeshütern und bringt den Wagen selbst in die Stadt.

Den Arzt findet er allerdings am Galgen baumelnd vor – aufgeknüpft von Kraut wegen angeblichen Falschspiels. McCord quartiert sich im Haus von Laurinda (Nicoletta Machiavelli) ein. McCords Anwesenheit ist Kraut ein Dorn im Auge. Er sieht darin eine Gefahr für seine Herrschaft über Escondido. So dauert es nicht lange, bis McCord einen von Krauts Männern, El Bailarín (José Manuel Martín), in Notwehr töten muss.

Lem Carter (Robert Ryan), der Gouverneur von New Mexico, verkündet unterdessen eine Amnesie für alle steckbrieflich gesuchten Outlaws. Wer sich beim Marshal meldet und seine Waffe abgibt, soll 50 Dollar und die Chance auf einen Neuanfang erhalten. McCord begibt sich im Schutz der Nacht nach Tuscosa zu Colby, merkt aber schnell, dass der Marshal nach wie vor entschlossen ist, die Bewohner*innen von Escondido auszurotten. McCord flieht, wird von einer Posse verfolgt und erhält einen Schuss ins Bein. Wieder in Escondido, versteckt er sich in Laurindas Haus, die seine Wunde verbindet.

Um Colby auf die Finger zu sehen, begibt sich Gouverneur Carter persönlich nach Tuscosa. Er bemerkt, dass der Marshal weiterhin Jagd auf die Gesetzlosen macht und dabei mit dem Einverständnis wohlhabender Bürger rechnen kann. Dennoch befiehlt er Colby, die Blockade von Escondido aufzuheben und eine Lieferung Lebensmittel in die Stadt zu schicken.

Kraut und seine Spießgesellen spüren McCord in Laurindas Haus auf. Sie ermorden Laurinda mit einem Schuss in den Rücken, verprügeln McCord und hängen ihn an den Armen auf. Anschließend trinken sie sich besinnungslos. Cheap Charlie (Renato Romano), der Händler, der in Carters Auftrag die Lebensmittel nach Escondido gebracht hat, nutzt die Gelegenheit, McCord aus der Stadt zu schmuggeln.

In einer abgelegenen Hütte trifft sich McCord mit dem Gouverneur und dem Marshal. Carter sichert ihm die versprochene Amnestie zu und lässt für den schwer Verletzten einen Arzt (Enzo Fiermonte) kommen. Der stellt fest, dass McCords Krämpfe nicht epileptisch sind, sondern von einer alten Schussverletzung herrühren und sich mit einer Operation beseitigen lassen.

Kraut und seine Banditen umzingeln die Hütte und setzen das Dach in Brand. Der Marshal und der Arzt werden getötet, bevor der geschwächte McCord die Widersacher mit einer Winchester erledigen kann. McCord reitet mit Carter zurück nach Tuscosa, wo er seine Waffen niederlegt und dafür 50 Dollar und den Amnestiebrief erhält. Auf dem Weg aus der Stadt wird McCord hinterrücks von Kopfgeldjägern erschossen. Den schützenden Brief lesen die Mörder erst, als McCord schon tot ist. Sie stehlen die 50 Dollar und lassen den Leichnam einfach liegen.

Mit Robert Ryan, Arthur Kennedy und Alex Cord bietet Un minuto per pregare gleich drei US-Stars auf. Das ist kein Wunder, denn bei der Produktion des Films war amerikanisches Studio-Geld im Spiel. Dementsprechend wurden bekannte Gesichter für die US-Kinoverwertung gebraucht. Als Regisseur soll zunächst Sergio Corbucci eingeplant gewesen sein, aber der zog sich wegen kreativer Differenzen wieder zurück und drehte stattdessen Il grande silenzio.

Tatsächlich herrscht in Un minuto per pregare eine ähnliche Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit wie in Corbuccis Meisterwerk. Die Outlaws des Films (mit Ausnahme von Kraut und seiner Bande) sind keine furchteinflößenden Banditen, sondern Ausgestoßene der Gesellschaft, die von Kopfgeldjägern ebenso wie von Colbys Deputies erbarmungslos gejagt werden. Und so wie Jean-Louis Trintignant in Il grande silenzio spielt Alex Cord einen todgeweihten Helden. Die gemeinsame Entstehungsgeschichte beider Filme zeigt sich auch darin, dass sie beide in einem ziemlichen sucker punch enden, wie sie dem Publikum selten zugemutet werden.

Mit Franco Giraldi, dem ehemaligen Assistenten Corbuccis, auf dem Regiestuhl ist es nur allzu naheliegend, Un minuto per pregare neben Il grande silenzio links liegen zu lassen. Das wäre aber nicht angebracht. Tatsächlich hat Giraldi einen durchaus eigenständigen Film geschaffen, der sich atmosphärisch auch von seinen früheren, komödiantisch angelegten Western abhebt.

Ungewöhnlich stark vertreten ist in Un minuto per pregare die katholisch-mediterrane Ikonographie, wie sie im Italo-Western immer wieder zum Vorschein kommt. McCord ist zu Beginn des Films nicht nur als um Heilung bittender Pilger auf dem Weg zu einer Kirche, mit seinem langen braunen Mantel sieht er auch selbst ein wenig wie ein Mönch aus. In Escondido lebt ein Teil der Bewohner*innen nicht in Häusern, sondern nach Art mittelalterlicher Einsiedler (oder wie Aussätzige in einem Bibelfilm) in Höhlen. Durch diese morbide Welt wandert McCord und wird auf Schritt und Tritt vom Tod verfolgt.

Mit der einsamen Ausnahme des Gouverneurs sterben alle, die McCord verbunden sind oder ihm helfen, einen brutalen Tod: Pater Santana wird von Kopfgeldjägern umgebracht, die an McCord herankommen wollen. Sein Freund Duskin wird später im Film ebenfalls von Kopfgeldjägern zur Strecke gebracht. Laurinda, Cheap Charlie und der Arzt werden von Kraut & Co. ermordet.

Der Italo-Western hat den Mythos des coolen Kopfgeldjägers hervorgebracht, personifiziert in Manco und Mortimer aus Für ein paar Dollar mehr. Mit Giraldis Film (und Corbuccis) wird der Mythos wieder demontiert, indem das Geschäft mit dem Kopfgeld als Mord mit Rückendeckung durch die Bourgeoisie dargestellt wird. Den amerikanischen Finanziers war so viel Genre-Radikalität zu viel. Sie bestanden darauf, dass für die USA eine eigene Schnittfassung erstellt wurde, mit einem alternativen Ende, das McCord lebendig davonkommen lässt.

Ein ganz großer Wurf ist Franco Giraldis letzter Western nicht geworden, aber ein sehr sehenswerter Film. Dazu trägt insbesondere Carlo Rustichellis ungewöhnlicher Score bei, der, inspiriert von Gustav Mahler, die düstere Atmosphäre des Films noch unterstreicht. Die Hauptrolle ist für Alex Cord (der kein Trintignant ist) etwas zu groß geraten, aber er gibt sich redlich Mühe. Mario Brega hat man leider keinen Gefallen getan, als man ihm für seine Rolle die Haare rotblond färbte. Die Rolle des Gouverneurs ist mit Robert Ryan gut besetzt.

18.3.24

Winnetou und sein Freund Old Firehand (1966)

Regie: Alfred Vohrer · Drehbuch: David De Reszke, Harald G. Petersson, C. B. Taylor · Musik: Peter Thomas · Kamera: Karl Löb · Schnitt: Jutta Hering · Produktion: Rialto Film.

Old Firehand ist eine der finstersten und kaputtesten Figuren, die Karl May je erdacht hat. Seinen ersten Auftritt hat er in der Erzählung »Old Firehand«, die 1875 im Deutschen Familienblatt erschien. Darin ist Firehand, in schon fortgeschrittenem Alter, Anführer einer Gesellschaft von Trappern, die ihr Lager in einem unzugänglichen Bergtal mitten im Gebiet der Dakota haben. Zu den Trappern gehören (ebenfalls mit ihrem ersten Auftritt) auch Sam Hawkens und Dick Stone – der Dritte im Bunde, Will Parker, wird erwähnt, ist aber noch nicht zur eigenständigen Figur ausgebaut. Auch haben Sam & Co. noch nicht die sympathischen Züge, die ihnen später in den Jugendromanen eigen sind. In »Old Firehand« wird die ganze Trappertruppe vielmehr als blutrünstig und sadistisch beschrieben. Ihre liebste Beschäftigung ist das Skalpieren von Indigenen, das auf eine Weise geschildert wird, die sich nicht wesentlich von der Jagd auf Tiere unterscheidet.

Anführer Firehand wird in besonderem Maße von Blutdurst und Hass auf Indigene getrieben. In der Tat wird im Laufe der Erzählung deutlich, dass der Alte zwar sonst nicht mehr viel zu Stande bringt, aber immer dann, wenn es ums Töten geht, ganz in seinem Element ist. In ihrem Gewaltrausch vernachlässigen die Trapper auch ihre eigene Sicherheit, und so ist es nicht erstaunlich, dass am Ende die meisten von ihnen tot sind.

Der Ich-Erzähler, der hier noch nicht Old Shatterhand ist, liebt Firehands Tochter Ellen und kommt schließlich dem Familiengeheimnis des alten Mannes auf die Spur: Ellens Mutter, Ribanna, war selbst eine Indigene. Sie wurde von dem weißen Jäger Tim Finnetey aus Eifersucht ermordet. Firehand wurde darauf (in einer reichlich unlogischen Wendung) zum blutrünstigen Indianerhasser. Finnetey wiederum trat später einer Dakota-Gruppe bei und wurde deren Häuptling.

1879 arbeitete May diese Erzählung zu Im fernen Westen um, seiner ersten Buchveröffentlichung. Weil Im fernen Westen für den Jugendbuchmarkt gedacht war, entschärfte May in der Bearbeitung die Gewalt leicht und strich die Liebesgeschichte zwischen Ellen und dem Ich-Erzähler. Aus Ellen wurde ein Junge namens Harry. Allerdings vergaß May, einige der im flirtenden Ton gehaltenen Begegnungen zwischen Ellen und dem Erzähler ausreichend anzupassen, weshalb die neue Fassung mit einigen unbeabsichtigten gay vibes daherkommt.

1893 schließlich nahm May den Stoff in Winnetou II auf, wodurch der Ich-Erzähler mit Old Shatterhand identifiziert wurde. Als Textgrundlage verwendete May nicht »Old Firehand«, sondern Im fernen Westen. Shatterhand sollte nach seiner Begegnung mit Nscho-tschi in Winnetou I keine weiteren love interests mehr haben, also durfte Ellen nicht vorkommen. Durch diese Entscheidung wurden die gay vibes des ungenügend bearbeiteten Textes kanonisch. Von der düsteren, gewalttätigen Atmosphäre der Erzählung von 1875 ist allerdings noch so viel übrig, dass der Text sich von der sonst so erbaulichen Stimmung von Mays Hauptwerk, den Gesammelten Reiseerzählungen, merkwürdig abhebt.¹

Von all dem ist in dem Film von 1966 kaum etwas zu merken. Beibehalten wurde nur, dass Old Firehand (Rod Cameron) nicht mehr jung und Anführer einer Gruppe von Trappern ist. Davon abgesehen beruht die Filmhandlung nicht auf dem Werk von Karl May, sondern auf einem (mir unbekannten) Roman namens Thunder at the Border, der für den Film adaptiert wurde.

Heute ist Winnetou und sein Freund Old Firehand wahrscheinlich die obskurste der May-Verfilmungen aus den sechziger Jahren. Das liegt daran, dass der Film im Unterschied zu seinen Vorgängern beim Publikum durchfiel. Waren die Verfilmungen von Anfang an ausgesprochen frei mit den Vorlagen umgegangen – diesmal ging es anscheinend einen Schritt zu weit. Die Filmkritik schloss daraus, dass der Film sich zu sehr an die zeitgleich so erfolgreichen Italo-Western angebiedert habe, deren Geist mit dem von Karl May nicht zu vereinen sei.

Da den beiden Produktionsgesellschaften hinter den May-Verfilmungen (Horst Wendlandts Rialto Film und Artur Brauners CCC) der ›Geist‹ von Karl May auch vorher herzlich egal gewesen war, halte ich das für eine ungenügende Erklärung. Es stimmt zwar, dass Winnetou und sein Freund Old Firehand gegenüber den vorherigen May-Filmen der Rialto so etwas wie einen Neuansatz darstellt: Mit Firehand wird eine neue Figur, mit einem neuen Darsteller, eingeführt. Neu ist auch die Musik von Peter Thomas. Und Winnetou legt die Dialogregie einige Bemerkungen in den Mund, die entschieden snarky sind. Nur – mit Italo-Western hat das alles eher wenig zu tun.

Ein vereinigendes Merkmal der Italo-Western ist, dass ihre Protagonist*innen (mit nur wenigen Ausnahmen) jung sind. Das bildet einen starken Kontrast zu zeitgleich entstandenen Hollywood-Western, deren Hauptdarsteller oft über fünfzig oder noch älter waren. In der Tat nutzten einige klassische US-Filme jener Zeit, wie El Dorado (1966), The Professionals (1966) und True Grit (1968) diese Tatsache aus, um das Altern des Helden selbst zu thematisieren.² Im Italo-Western traten dagegen ältere Charaktere (allen voran die von Lee Van Cleef gespielten) tendenziell als Antagonisten auf und werden von jugendlichen Helden erschossen.

Von dieser Jugendlichkeit ist in Old Firehand nicht viel zu merken. Rod Cameron spielt die Titelfigur als alten, erfahrenen Jäger, der gegenüber jüngeren Westmännern als Mentor fungiert  – nicht anders als John Wayne in den Filmen von Howard Hawks’ Gefängnis-Trilogie. An italienische Western erinnert der Film allenfalls, indem er die Handlung ins Grenzgebiet zwischen dem Südwesten der USA und Mexiko verlegt.

Winnetou und Nscho-tschi (Marie Versini) werden von den Banditen Silers’ (Harald Leipnitz) überfallen. Old Firehand kommt ihnen mit seinen Trappern zu Hilfe und wehrt die Banditen ab. Gemeinsam reiten sie ins mexikanische Städtchen Miramonte, um den Überfall anzuzeigen. Dort hat Mendoza (Rik Battaglia), Sergeant der Federales, Billy Bob (Walter Wilz), den Bruder des Bandenchefs, festgesetzt. Silers will seinen Bruder befreien und Miramonte dem Erdboden gleich machen. Winnetou, Old Firehand und die anderen erklären sich bereit, gemeinsam mit Mendoza die Verteidigung des Städtchens gegen die Banditen zu organisieren.

Man sieht: Hier werden einfach die Storylines von Rio Bravo und The Magnificent Seven übernommen, miteinander kombiniert und damit irgendwie ziemlich beliebig gemacht. Keine Entwicklung in Richtung Italo-Western also, sondern eher freizügige Bedienung bei großen Vorbildern. »Steal from the best« ist an sich eine nützliche Maxime, die in Winnetou und sein Freund Old Firehand aber vergeblich angewendet wurde. Es fängt schon damit an, wie der Plot einsetzt: Winnetou und Nscho-tschi werden überfallen und reiten in ein mexikanisches Kaff, um Anzeige zu erstatten. Wer zum Geier hat sich das ausgedacht? Auch hat Nscho-tschi überhaupt keine Funktion für die Handlung. Sie steht eigentlich nur vor der Kamera herum. Der Verdacht liegt nahe, dass sie für diesen Film nur deshalb gecastet wurde, weil Marie Versini ein Publikumsmagnet war.

Wie gesagt, der Versuch, ein paar Dinge anders zu machen, ist schon vorhanden. Von den pathosgeladenen Dialogzeilen der ersten May-Verfilmungen, bei denen die Darsteller*innen sich oft das Lachen verkneifen mussten, zu den vorsichtigen Übungen in Sarkasmus im vorliegenden Film ist es schon ein Stück Weg. Anders ist auch, dass Rik Battaglia endlich mal nicht den schnurrbartzwirbelnden Schurken geben musste. Der war von diesem Typecasting bekanntlich ganz schön genervt. Gut für Rik, keine Frage. Aber viel mehr lässt sich zugunsten dieses Films leider nicht sagen.

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¹ Ein Old Firehand tritt bekanntlich auch im Jugendroman Der Schatz im Silbersee (1890/91) auf. Der unterscheidet sich aber so stark von der Titelfigur der 1875er Erzählung und ihrer Bearbeitungen, dass er im Grunde eine andere Figur darstellt.

² Der Normalfall war freilich eher der, dass die stagnierende Pferdeopern-Industrie Hollywoods mit den Altstars einfach weiter Filme drehte, so lange sie sich einigermaßen im Sattel halten konnten – egal wie seltsam es wirkte, wenn sie dabei von lauter 30 Jahre jüngeren Darsteller*innen umgeben waren.

11.3.24

Custer of the West (1967)

Deutscher Titel: Ein Tag zum Kämpfen · Regie: Robert Siodmak · Drehbuch: Bernard Gordon, Julian Zimet · Musik: Bernardo Segall · Kamera: Cecilio Paniagua · Schnitt: Peter Parasheles, Maurice Rootes · Produktion: Cinerama.

Custer of the West ist ein Beispiel für einen Spätwestern, der etwas Neues sagen will – dass das Vorgehen gegen die amerikanischen Indigenen nach dem Bürgerkrieg fundamental ungerecht war. Zugleich will er aber um keinen Preis die heroische Aura der Figur beschädigen, die für eben dieses Vorgehen maßgeblich verantwortlich war. Es ist ein so widersprüchlicher Versuch, dass er in sich zusammenfallen muss und dies mit einiger Zwangsläufigkeit auch tut.

Der Grund für das Schlamassel ist vermutlich darin zu sehen, dass Custer of the West ein typischer Studiofilm ist, bei dem jede*r ein eigenes Süppchen kochte. Ursprünglich plante 20th Century Fox einen Film über General Custer, bei dem Fred Zinnemann Regie führen sollte. Aus Kostengründen wurde das Projekt aufgegeben, worauf mit Cinerama ein anderes Studio die Gelegenheit beim Schopf packte und auf die rettende Idee kam: Kosten lassen sich bei Western bekanntlich einsparen, indem man den Drehort einfach nach Spanien verlegt.

Zunächst versuchte Cinerama, Akira Kurosawa für den Regiestuhl zu gewinnen. Und wer weiß, was das für einen Film ergeben hätte? Aber es wurde nichts daraus, und das Studio verpflichtete den Veteran Robert Siodmak, der zuvor einige Karl-May-Filme gedreht hatte. Siodmak zeigte allerdings wenig Lust, sich bei dem Projekt wirklich zu engagieren. Bei vielen Szenen war es Hauptdarsteller Robert Shaw, der de facto Regie führte. Shaw scheint es auch gewesen zu sein, der auf Biegen und Brechen versuchte, Custer zu einer Figur mit Licht- und Schattenseiten zu machen, die am Ende Fairness und Verständnis für ihre Gegner*innen zeigt.

Bernard Gordon und Julian Zimet, die beiden Drehbuchautoren, hatten vom Studio die Weisung erhalten, Custer als tadellosen Helden zu zeichnen. Shaw hielt sich allerdings nicht daran und improvisierte die Rolle frei. In der ersten Hälfte des Films stellt er Custer als gnadenlosen Leuteschinder dar, der sich selbst und seinen Untergebenen gegenüber nichts als Härte zeigt. Man fragt sich unwillkürlich, ob Custer hier eine Art Antiheld sein soll, denn es ist kaum möglich, Sympathie für ihn zu empfinden.¹

In der zweiten Filmhälfte wandelt sich das Bild plötzlich. Custer reist nach Washington, um vor dem Kongress zu erklären, es gebe kein »Indianerproblem«, sondern nur ein »Weißenproblem«. Die Ureinwohner*innen kämpften schließlich nur ehrenhaft um ihr Land. Ab da wird Custer als ein Mensch gezeigt, dem seine eigene Welt fremd geworden ist. Als ihm eine neue militärische Erfindung – ein gepanzerter Schienenwagen – demonstriert wird, wendet er sich schaudernd ab: Wo bleibe da der offene, ritterliche Kampf Mann gegen Mann? Das politische Establishment von Washington schmäht ihn fortan, so will es zumindest dieser Film.

Nun entspricht der echte Custer keiner von Shaws beiden Interpretationen. Der harte Hund, als der er zu Beginn dargestellt wird, war er gewiss nicht. Der historische Custer war ein eitler Pfau mit wallender Lockenpracht und großer Vorliebe für maßgeschneiderte Phantasieuniformen. Er achtete darauf, bei seinen Feldzügen von Journalisten begleitet zu werden und ließ sich liebend gern fotografieren. Er war ein Medienprofi, der sein Image als schneidiger Held der frontier erfolgreich selbst geschaffen hatte. Die zeitgenössische Öffentlichkeit verehrte ihn.

Kann man den Custer der ersten Filmhälfte noch als verfehltes Hollywood-Porträt abtun, wird es in der zweiten Filmhälfte richtiggehend verlogen. Als Kommandeur des 7. Kavallerieregiments war der historische Custer der Military Division of the Missouri unterstellt. Die Aufgabe dieses Truppenverbands war es, die indigenen Stämme der Great Plains in Reservate zu treiben, um so die Region für weiße Besiedlung zu erschließen. Natürlich waren nicht alle Ureinwohner*innen bereit, dies kampflos hinzunehmen. Insbesondere Lakota und Cheyenne leisteten erbitterten Widerstand.

Custers unmittelbarer Vorgesetzter, der Divisionskommandeur General Sheridan (im Film von Lawrence Tierney gespielt), entwickelte daraufhin eine Strategie der totalen Kriegsführung. Die Truppen der Missouri Division sollten gezielt indigene Dörfer angreifen und dabei nicht zwischen Männern, Frauen und Kindern unterscheiden. Geiselnahmen und auch die Ausrottung ganzer Stämme und Völker erklärte Sheridan für legitim. Custer für seinen Teil setzte diese Vorgaben eifrig um.

Die Lage spitzte sich zu, als eine von Custer aufgestellte Expedition in den Black Hills Gold fand. Das Gebiet rund um die Black Hills war in den  Verträgen von Fort Laramie (1851 und 1868) den Lakota zugesprochen worden. Schon die Expedition an sich verletzte die Vertragsbestimmungen, denn das Gebiet sollte von Weißen nicht betreten werden. Doch jetzt, nach dem Goldfund, waren die Verträge das Papier nicht mehr wert, auf dem sie geschrieben waren. Innerhalb kurzer Zeit strömten tausende von weißen Glückssucher*innen in die Black Hills.

Die Lakota wehrten sich, und so kam es am 25. Juni 1876 am Little Bighorn River zur Konfrontation zwischen Custers Kavallerie und einer Koalition aus Lakota und Cheyenne. Custers Regiment rückte in drei getrennten Abteilungen vor, und die von Custer persönlich geführte Abteilung traf zuerst auf die Hauptmacht der Cheyenne und Lakota. Die beiden anderen Bataillone lagen weit zurück oder waren anderswo in Gefechte verwickelt. Custer entschloss sich dennoch, sofort anzugreifen, und wurde mit seiner Abteilung völlig aufgerieben.

Warum Custer angriff, ohne auf Verstärkung zu warten, ist bis heute nicht ganz geklärt. Der Film findet eine eindeutige Antwort: Custer, von Washington aufgrund seiner Sympathie für den Feind geächtet, hat nur noch den Wunsch, im Kampf mit eben diesem Feind den Tod zu finden. Er geht in die Schlacht, um zu sterben. Der wirkliche Custer dürfte einer weitaus schnöderen Motivation gefolgt sein: Er wollte vermutlich den Ruhm für sich allein einheimsen, den er anderenfalls mit seinen Offizieren, die die anderen Bataillone befehligten, hätte teilen müssen.

Und der Ruhm sollte Custer gehören, wenn auch nicht ganz in der Weise, wie er sich es wohl vorgestellt hatte. Im Offizierskorps dürfte man sich durchaus eigene Gedanken zu Custers desaströsem Vorgehen gemacht haben. Aber diese offen auszusprechen, hätte möglicherweise eine empfindliche Kürzung des Militärbudgets durch den Kongress bedeutet. So verlegte sich die Armee aus PR-Gründen darauf, das Heldentum und den Wagemut Custers herauszustreichen. Daneben arbeitete Custers Witwe Libbie (im Film von Mary Ure gespielt) unermüdlich daran, das Heldenimage ihres Mannes auch nach seinem Tod aufrecht zu erhalten. Sie schrieb drei Bücher über ihren Gatten und hielt zahllose Reden über ihn, bis sie 1933 im Alter von 90 Jahren starb.

Im Jahr 1967 war das Kinopublikum allerdings nicht mehr so naiv, diese Glorifizierung einfach hinzunehmen. Custer of the West entwickelte sich zum totalen Flop. Von den Produktionskosten in Höhe von vier Millionen Dollar spielte er lediglich einen Bruchteil wieder ein. Selten hat ein Film das so verdient wie dieser.

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¹ Sympathie für die Filmfigur, meine ich hier ausdrücklich. Der historische Custer ist ohnehin verloren.

4.3.24

Shalako (1968)

Deutscher Titel: Man nennt mich Shalako · Regie: Edward Dmytryk · Drehbuch: J. J. Griffith, Hal Hopper · Musik: Robert Farnon · Kamera: Ted Moore · Schnitt: Bill Blunden · Produktion: Kingston Film Productions, Palomar Pictures.

In New Mexico ist eine High-Society-Jagdgesellschaft unterwegs. Sie besteht aus Baron Friedrich von Hallstatt (Peter van Eyck), Gräfin Irina Lazaar (Brigitte Bardot), Sir Charles Daggett (Jack Hawkins) und seiner Frau Julia Daggett (Honor Blackman) sowie dem US-Senator Henry Clarke (Alexander Knox) und seiner hispanischen Frau Elena Clarke (Valerie French). Man schlürft Champagner und knallt Pumas ab. Für das leibliche Wohl sorgen Dienstboten. Ein ganzer Trupp Scouts ist dafür zuständig, den Damen und Herren das erschöpfte Wild direkt vor die Flinte zu treiben.

Innerhalb der blaublütigen Gesellschaft geht es hoch her. Sir Charles ist hoffnungslos verschuldet. Er kann nicht nach Europa zurückkehren, da er sich dort seinen Schuldnern stellen müsste. Also bleibt er im Ausland und lässt sich seinen luxuriösen Lebenswandel vom Baron Hallstatt finanzieren. Als Gegenleistung will er Hallstatt mit Irina verkuppeln. Lady Daggett hat unterdessen ein nicht standesgemäßes Auge auf Bosky Fulton (Stephen Boyd), den Chef der Scouts, geworfen. Senator Clarke kippt gern einen Brandy zu viel und faselt dann davon, wie er 1860 beinahe Vizepräsident der Vereinigten Staaten geworden wäre. Seiner Frau verbietet er, mit den Scouts in ihrer spanischen Muttersprache zu sprechen. 

Fulton, der Anführer der Scouts, führt die Gesellschaft direkt in Apache-Gebiet. Es kommt zu einem Zwischenfall, bei dem ein Scout und mehrere Apache getötet werden. Nur das zufällige Eintreffen Shalakos (Sean Connery), eines erfahrenen Westmannes, verhindert Schlimmeres. Der Häuptling (Rodd Redwing) fordert die ungebetenen Gäste auf, sofort zu verschwinden. Hallstatt erwidert hochnäsig, man lasse sich von Wilden keine Befehle erteilen. Shalako bietet der Gesellschaft an, sie sicher aus dem Apache-Gebiet herauszuführen, aber Hallstatt lehnt ab. Er sieht Shalako als ungehobelten Proll an, mit dem sich abzugeben unter seiner Würde ist.

Natürlich kommt es, wie es kommen muss: Apache-Krieger unter der Führung des Häuptlingssohnes Chato (Woody Strode) greifen das Camp der Jagdgesellschaft an und massakrieren die Scouts und Dienstboten. Shalako gelingt es, die Krieger für einige Stunden vom Camp abzulenken. Diese Verschnaufpause nutzt Fulton, um sich mit Lady Daggett und dem Großteil der überlebenden Scouts aus dem Staub zu machen. Nur Buffalo (Red Barry) und Rojas (Julián Mateos), die Shalako von früher kennen, bleiben zurück. Hallstatt sieht den Ernst der Lage ein und stimmt Shalakos Plan zu, die kläglichen Reste der Gesellschaft auf ein wasserreiches Plateau zu führen, das besseren Schutz vor Angriffen bietet.

Shalako ist der erste von drei Filmen des britischen Produzenten Euan Lloyd, die auf Romanen von Louis L’Amour basieren.¹ Lloyd wollte ursprünglich vor Ort im Südwesten der USA (nach anderen Angaben in Mexiko) drehen, befand aber Land und Leute für nicht ›wild‹ genug. Deshalb wich er nach Spanien aus und entschied sich für die Wüste von Tabernas als Drehort. Dort entstand zur gleichen Zeit ein Kriegsfilm, und beide Filmteams mussten während der Dreharbeiten darauf achten, sich nicht in die Quere zu kommen. Die Tatsache, dass es in Almería keine Apache gibt, bereitete Lloyd keine schlaflosen Nächte. Er heuerte spanische Roma an, die die indigenen Krieger darstellen. Die Rolle des Häuptlings besetzte er mit Rodd Redwing, einem bekannten Pretendian aus Hollywood.² Illusion schlägt Realität, das scheint Lloyds Maxime bei der Produktion von Shalako gewesen zu sein.

Für die Hauptrollen des Shalako und der Irina hatte Lloyd zunächst Henry Fonda und Senta Berger im Sinn, die aber nicht zur Verfügung standen. Louis L’Amour schlug als Alternative Sean Connery vor. Der hatte Zeit, da er keine Lust mehr hatte, James Bond zu spielen, und deshalb die Rolle in On Her Majesty’s Secret Service abgelehnt hatte. Von der Idee, in einem Western aufzutreten, war er dagegen sehr angetan. Mit Connery und (in der weiblichen Hauptrolle) Brigitte Bardot wurde Shalako dezidiert als europäischer Film wahrgenommen. In der Tat löste er eine Welle von britischen Westernproduktionen aus, die im Vergleich zu ihren italienischen, deutschen und spanischen Pendants aber vergleichsweise bescheiden blieb.

Überraschenderweise wirkt Connery mit Winchester, Hut und ledernem Jagdrock völlig natürlich, als hätte er nur eine Rolle wie diese darauf gewartet. Auch holt Bond-Kameramann Ted Moore einiges aus der Landschaft von Almería heraus, und die Action-Szenen sind gekonnt inszeniert. Was den Film zu einer Enttäuschung werden lässt, ist das Drehbuch. Als Hauptrollen sind Shalako und Irina viel zu konventionell, um wirklich interessant zu sein: Er ist ein ziemlich gewöhnlicher Wildwest-Macho, und sie ist die Debütantin aus Europa, die ihm so hoffnungslos verfällt, als hätte sie ihr bisheriges Leben lang nur auf ihn gewartet.

Vielversprechender sind die Konflikte innerhalb der aristokratischen Jagdgesellschaft. Deren kleinliche Intrigen, Standesdünkel und Heuchelei werden zu Beginn so sehr herausgestellt, dass ich es kaum erwarten konnte, Woody Strode dabei zuzusehen, wie er sie dezimiert. Peter van Eyck als Baron Hallstatt, der sich und andere aus schierem Hochmut ins Verderben führt, hätte einen wunderbar hassenswerten Antagonisten abgegeben. Was hätte ein italienischer Regisseur wie Sergio Sollima aus der Rivalität zwischen ihm und Shalako machen können! Stattdessen mutiert Hallstatt nach 70 Minuten plötzlich zum Retter in der Not, indem er mit seinen alpinistischen Fähigkeiten der Gruppe dazu verhilft, das schützende Plateau schneller zu erreichen. Auch die Tatsache, dass Irina sich von ihm ab- und Shalako zuwendet, scheint ihm nunmehr gleichgültig zu sein. Die anderen Spannungen in der Jagdgesellschaft lösen sich ebenso ins Beliebige auf: Mrs. Clarke darf dann doch noch mit Rojas, dem mexikanischen Scout, Spanisch sprechen. Bleibt das Eifersuchtsdrama zwischen Fulton und den Daggetts, das dadurch gelöst wird, dass Lady Daggett von den Apache getötet wird und Sir Charles und Fulton sich gegenseitig erschießen.

Und es bleibt Chato als primärer Antagonist. Der betont immer wieder, dass er die lästigen weißen Eindringlinge allesamt ins Jenseits befördern will. Recht hat er ja, und fast bis zum Schluss des Films geht er auch tatkräftig ans Werk. Aber nur fast, denn am Ende fordert er dann völlig unvermittelt Shalako zum Zweikampf heraus und erklärt, dass die belagerten Weißen abziehen dürfen, wenn Shalako den Zweikampf gewinnt. Eine ziemlich abrupte Wendung, nachdem der Film zuvor so viel Mühe darauf verwandt hatte, Chato zum erbarmungslosen Verfolger aufzubauen.

Fragt sich: Warum das Ganze? Warum beginnt Shalako mit einer Exposition, die Hallstatt und die anderen upper-class toffs als durch und durch unsympathisch darstellt, nur um diese Prämisse dann einfach aufzugeben? Und eigentlich ist ja auch klar, dass die Jagdgesellschaft im Gebiet der Apache nichts zu suchen hat. Es ist allein ihre Anwesenheit, die Chatos Reaktion herausfordert.

Ich vermute, dass der Film schlicht und einfach vor der Entwicklung zurückschreckt, die der europäische Western Ende der sechziger Jahre genommen hatte. Seit Django wurde das klassische Wildwest-Schurken-Personal (Banditen, Viehdiebe, Comanche) insbesondere in italienischen und französischen Produktionen zunehmend in Nebenrollen gedrängt. Zu primären Antagonisten wurden stattdessen rassistische Großgrundbesitzer, Ex-Offiziere der konföderierten Armee und korrupte Geschäftsleute, Kirchenmänner oder Politiker – Figuren also, die wie die Jagdgesellschaft in Shalako aus der Honoratioren- oder Oberschicht stammen. Aber Shalako will die Konsequenz nicht ziehen, dass eigentlich Hallstatt der Antagonist dieses Films sein müsste. Stattdessen präsentiert er mit Fulton (dem verräterischen Scout) und Chato (dem feindseligen Apache) zwei ›klassische‹ Schurkenfiguren, weiß mit ihnen aber auch nicht viel anzufangen.

So ist Shalako vor allem ein inkonsequenter Film, was sich auch durch das Bardot-Connery-Staraufgebot nicht überspielen lässt. Er funktioniert nach Blockbuster-Logik: Für alle darf etwas dabei sein, so lange es für niemanden kontrovers ist.

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¹ Die beiden anderen sind Catlow (1971) und The Man Called Noon (1973).

² Im Kontext der Filmindustrie sind Pretendians nicht-indigene Schauspieler*innen, die sich eine indigene Identität aneignen, um sich auf Filmrollen als Native Americans spezialisieren zu können. Das bekannteste Beispiel eines Pretendians der klassischen Hollywood-Ära ist Iron Eyes Cody (der eigentlich Italoamerikaner war), heute dürfte es Kelsey Asbille sein.

26.2.24

Die Flußpiraten vom Mississippi (1963)

Regie: Jürgen Roland · Drehbuch: Werner P. Zibaso · Musik: Willy Mattes · Kamera: Rolf Kästel · Schnitt: Herbert Taschner · Produktion: Rapid-Film.

Friedrich Gerstäckers Romane Die Regulatoren in Arkansas (1846) und Die Flußpiraten des Mississippi (1847) gehören zu den besten frontier-Erzählungen in deutscher Sprache. Das liegt einerseits daran, dass Gerstäcker die Schauplätze aus eigener Anschauung kannte (er schrieb beide Bücher nach einem sechsjährigen Aufenthalt in Nordamerika), andererseits daran, dass sie sich einer allzu schlichten Gut-Böse-Dichotomie entziehen. Tatsächlich wären die Romane mit ihrer großen Anzahl von Charakteren und ineinander verwobenen Handlungssträngen hervorragendes Material für eine mit kreativen Köpfen (und dem passenden Budget) ausgestattete Fernsehserie. Es ist fast zu bedauern, dass Gerstäcker nicht in den USA blieb und so möglicherweise als englischsprachiger Autor zu Bekanntheit gekommen wäre ... dann wäre ein solches Projekt zumindest im Bereich des Möglichen gewesen.

So darf man zwar träumen, die Verfilmung beider Romane durch den Produzenten Wolf C. Hartwig hat aber mit Gerstäckers Qualitäten als Schriftsteller wenig zu tun. Sie hängt allein mit dem Erfolg von Der Schatz im Silbersee (1962) zusammen, der die westdeutsche Filmindustrie auf eine hektische Suche nach mehr (und vorzugsweise urheberrechtsfreiem) Wildwest-Material schickte. Vom Lokalkolorit der Vorlage lässt sie kaum etwas übrig.

Flusspirat*innen, angeführt von Kapitän Kelly (Horst Frank) überfallen auf dem Mississippi ein Floß und ermorden Mary (Sinja Jerin), die Verlobte des jungen Backwoods-Farmers James Lively (Hansjörg Felmy). Als nächstes rauben sie die Bank in Helena, Arkansas aus und schießen dabei den Sheriff (Janez Vrhovec) über den Haufen. James lässt sich zum neuen Sheriff ernennen. Seinen Freund Tom Quincy (Brad Harris) macht er zum Deputy. Gemeinsam wollen sie es mit den Flusspirat*innen aufnehmen.

Die planen unterdessen ihren größten Coup: Sie wollen den Postdampfer Van Buren kapern, die Stadt überfallen und anschließend mit dem Dampfer in den Golf von Mexiko abhauen. Die Cherokee des Häuptlings Schwarzer Adler (Tony Kendall) sollen ihnen dabei helfen. Schwarzer Adler ist eigentlich mit James Lively befreundet, lässt sich aber durch die Lügen der Flusspiraten gegen ihn einnehmen. James, Tom und Schwarzer Adlers Schwester Wichita (Barbara Simon) versuchen, das Komplott zu verhindern.

Aus der komplexen Story von Gerstäckers Roman ist eine simple Geschichte nach dem Vorbild der Karl-May-Verfilmungen geworden: Böse Weiße hetzen Indigene gegen gute Weiße auf, die Helden schreiten im letzten Moment ein und es gibt ein Happy End. Während bei Gerstäcker die Bande der Flusspirat*innen heimliche Kompliz*innen bis in die gute Gesellschaft hinein hat, ist im Film weitgehend klar, wer auf welcher Seite steht. Grautöne gibt es keine, bis auf die bemerkenswerte Ausnahme der Häuptlingsschwester Wichita. Diese Figur, die im Buch ebenso wenig vorkommt wie die anderen Cherokee, sorgt für ein paar Überraschungen in der sonst vorhersehbaren Handlung. Nicht nur, dass sie gegen den Willen ihres Bruders die Pläne der Flusspiraten durchkreuzen will – als ihr verräterischer weißer Liebhaber (Dan Vadis) sie zurückzuhalten versucht, führt sie ihn in einer amüsant-trashigen Szene kurzerhand in einen Sumpf und lässt ihn dort ertrinken.

Von dieser Ausnahme abgesehen, überwiegen in der Verfilmung die Verschlimmbesserungen. Die Handlung wird aus den 1840er Jahren in die Zeit nach dem Bürgerkrieg verlegt. Die Cherokee werden als in Tipis lebende Pferdenomad*innen nach Art der Great-Plains-Stämme dargestellt, was mit ihrer tatsächlichen Kultur wenig zu tun hat. Eher peinlich auch die fiktive Auflösung des Konflikts am Ende: Schwarzer Adler erhält ein Dokument der US-Regierung, das den Cherokee die Unverletzlichkeit ihres Landes garantiert. In Wirklichkeit war es mit dem Versprechen eines »permanent homeland«, das die Regierung den Cherokee 1866 gab, nicht weit her. Ende der 1880er Jahre wurde das Land von Präsident Grover Cleveland zur Besiedelung durch Weiße freigegeben.

Natürlich ist das der verbreiteten Naivität des Euro-Westerns der frühen sechziger Jahre geschuldet. Bei Filmen, die in einem vagen, ahistorischen Wilden Westen irgendwo zwischen den Great Plains, den Rocky Mountains und New Mexico angesiedelt sind, fällt so etwas auch gar nicht weiter auf. Nur ist Gerstäckers Roman im Gegensatz dazu ein zeitgenössisches Werk, dass in den 1840er Jahren in Arkansas am Ufer des Mississippi spielt und in dieser Zeit auch geschrieben und veröffentlicht wurde. Wird der dadurch gesetzte historische Kontext ignoriert, ist die Fallhöhe entsprechend groß.

Das gilt übrigens auch für den Drehort. Nicht anders als die meisten Karl-May-Filme entstand Die Flußpiraten vom Mississippi in Jugoslawien. Für den Mississippi muss der Save im heutigen Slowenien und Kroatien einstehen. Dabei strapaziert es arg die Glaubwürdigkeit, dass dieser gemächlich durch Karstlandschaften plätschernde Fluss der majestätische Old Man River sein soll.

Wolf C. Hartwig, der später als Produzent der Schulmädchen-Report-Flicks zu zweifelhaftem Ruhm kam, schob den Flußpiraten noch zwei Filme nach: 1964 Die Goldsucher von Arkansas (als Verfilmung von Die Regulatoren in Arkansas, die sich noch weniger an der Romanvorlage orientiert) und 1965 Die schwarzen Adler von Santa Fe. Letzterer basierte nicht mehr auf dem Werk Gerstäckers, aber Tony Kendall tritt in ihm ein zweites Mal in der Rolle des Schwarzen Adler auf.